Amtsgericht Siegburg:
Urteil vom 30. April 2013
Aktenzeichen: 207 OWi 18/13 (b)
(AG Siegburg: Urteil v. 30.04.2013, Az.: 207 OWi 18/13 (b))
Tenor
Soweit der Verteidiger die Vorlage der Bedienungsanleitung des Messgeräts beantragt, sind diese Unterlagen dem Verteidiger zugänglich zu machen. Dies gilt auch, wenn diese Gegenstände noch nicht Teil der Gerichtsakte sind, sondern sich in behördlicher Hand befinden. Der Verteidiger darf nicht darauf verwiesen werden, die Bedienungs- bzw. Gebrauchsanweisung der technischen Messgeräte nach vorheriger Terminabsprache einzusehen bzw. diese gegen Bezahlung beim Hersteller dieser Geräte anzufordern.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse
Gründe
Wenn sich die Gebrauchsanweisung nicht bei den Akten befindet, dann ist Rechtsgrundlage für das Einsichtsbegehren der Grundsatz des fairen Verfahrens und nicht das Rechts auf Akteneinsicht. Diese Differenzierung ist letztlich Ausfluss des vom Bundesgerichtshof vertretenen formellen Aktenbegriffs: § 147 Abs. 1 StPO gibt keinen Anspruch auf Bildung eines größeren Aktenbestands; ein sog. materieller Aktenbegriff ist der Strafprozessordnung fremd. Dies wird verkannt, wenn Gerichte immer wieder zur Begründung eines Einsichtsrechts des Verteidigers in die Bedienungsanleitung allein auf den sachlichen Zusammenhang mit dem Gegenstand des Verfahrens abstellen. Nicht weniger fehlerhaft ist die Argumentation, der Verteidiger habe ein Recht auf Einsicht in alle Unterlagen, die auch einem Sachverständigen vorzulegen wären. Diese fast mantrahaft wiederholte Formulierung kann gewiss nicht die Grenzen des für das Akteneinsichtsrecht nach § 147 StPO maßgeblichen formellen Aktenbegriffs sprengen.
Dem Fair trial wird es regelmäßig nicht entsprechen, wenn die Bußgeldbehörde, die Staatsanwaltschaft oder das Gericht bloß die Gelegenheit zur Einsicht in die Gebrauchsanweisung in einer Dienststelle gewähren. Das gilt nicht nur in den Fällen, in denen dem Verteidiger wegen der Entfernung zum Kanzleisitz die Anreise nicht zugemutet werden kann. Auch hier gilt: Die Wahrung der Rechte des Betroffenen im Vorverfahren, die Prüfung der Erfolgsaussichten eines Einspruchs sowie die Befragung des Messbeamten in der Hauptverhandlung zur standardisierten, d.h. ordnungsgemäßen Durchführung des Messvorgangs setzen Kenntnis und ständige Verfügbarkeit der Bedienungsanleitung voraus; der Verteidiger muss sich also auch nicht auf die Inanspruchnahme eines ortsansässigen Unterbevollmächtigen verweisen lassen. Die Beschränkung auf eine Einsichtnahme in den Diensträumen dürfte willkürlich sein, besonders deutlich, wenn hinzugefügt wird, die Bedienungsanleitung könne nur für einen "kurzen Zeitraum" zur Verfügung gestellt werden. Das Gleiche gilt, wenn dem Verteidiger zwar ein Online-Zugriff auf der Homepage des Herstellers vermittelt wird, die Gebrauchsanweisung oder einzelne Seiten daraus aber nicht ausgedruckt werden können. Folglich ist dem Verteidiger zumindest - nach Beiziehung der Bedienungsanleitung- die Anfertigung einer Kopie in seiner Kanzlei zu ermöglichen. In der Rechtsprechung wird zwar nicht selten betont, die Anfertigung einer Kopie sei der Behörde nicht zumutbar, das Original aber werde ständig benötigt. Abgesehen davon, dass die Behörde ohnehin Kopien für allfällige gerichtliche Anforderungen vorhalten bzw. anfertigen muss, kommt es darauf nicht an; die Einhaltung des fairen Verfahrens ist immer zumutbar.
Nun ist allgemein bekannt, dass dieser simplen Bejahung eines Einsichtsrechts des Verteidigers in die Gebrauchsanweisung Einwände entgegengesetzt werden: Bedenkt man, dass die Vorgaben des Herstellers Gegenstand von Bauartzulassung und Eichung sowie deren Einhaltung Voraussetzung für das Vorliegen eines standardisierten Messverfahrens ist, so erweist sich die Behauptung, die Bedienungsanleitung sei nur eine - nicht der Einsicht unterliegende - "innerdienstliche Handreichung für geschulte Anwender", als inhaltsleere Floskel. Nicht diskussionswürdig sind auch Hinweise, der Verteidiger möge die Gebrauchsanweisung beim Hersteller gegen ein Entgelt erwerben oder sich die erforderlichen technischen Kenntnisse durch Selbststudium verschaffen. Die Frage, ob ein Urheberrecht der Hersteller der Anfertigung einer Kopie der Bedienungsanleitung für den Verteidiger entgegensteht, wird kontrovers diskutiert. In der jüngeren Rechtsprechung sind dem Urheberrecht der Hersteller verschiedene Argumente entgegengehalten worden: Nach § 45 Abs. 1 UrhG ist es zulässig, einzelne Vervielfältigungsstücke von Werken in Verfahren vor einem Gericht oder einer Behörde herzustellen. Es ist unerheblich, ob die Vorlage ein Original oder ihrerseits eine Kopie ist; privilegiert ist jeder am Verfahren Beteiligte. Ein weiterer Einwand greift die Zweckübertragungslehre nach § 31 Abs. 5 UrhG als Auslegungsgrundsatz für das "ob" und "wie" der vertraglichen Nutzungsrechtseinräumung auf: Angesichts des Verwendungszwecks des Messgeräts räume der Hersteller mit dessen Veräußerung zumindest konkludent die Nutzungsrechte ein, die für die Durchführung der einschlägigen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren erforderlich seien; eine spätere "Sperrerklärung" könne daran nichts mehr ändern. Weiter wird der in § 17 Abs. 2 UrhG verankerte Erschöpfungsgrundsatz ins Feld geführt. Schließlich wird allgemein geltend gemacht, in Ordnungswidrigkeitenverfahren müssten urheberrechtliche Bedenken zurückstehen, da es für das standardisierte Messverfahren notwendig sei, dass der Messgeräteeinsatz der Bedienungsanleitung entsprechend stattgefunden habe. Jedenfalls müsse ein etwaiges Urheberrecht hinter dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs und eines fairen Verfahrens zurücktreten. Teilweise ist der Bedienungsanleitung sogar der Charakter eines urheberrechtlich geschützten Werks mit der Begründung abgesprochen worden, dass das Schriftstück lediglich vorgegebene technische Zusammenhänge auf eine handwerklich definierbare Weise beschreibe und keine eigenständige geistige Schöpfung ihres Autors sei. Überzeugend ist hier der soweit ersichtlich erstmals von Burhoff in die Debatte eingeführte - Hinweis auf das in § 45 UrhG enthaltene, auf den Verfahrenszweck und die -beteiligten begrenzte Vervielfältigungsrecht überzeugt. Unabhängig davon, welchen dieser Lösungswege man bevorzugt, ist festzuhalten, dass der Verteidiger die überlassenen Unterlagen nur für das jeweilige Verfahren verwenden und insbesondere nicht anderweitig veröffentlichen darf, auch nicht nach Abschluss des Verfahrens.
Verweigert die Verwaltungsbehörde Einsicht in die Bedienungsanleitung, steht dem Betroffenen der Rechtsbehelf des § 62 OWiG zu Gebote. Auch einer Beschränkung der Einsicht, etwa auf die Räume einer Behörde, kann nach dieser Vorschrift entgegengetreten werden; die im Recht auf Akteneinsicht vorgesehenen Ausschlüsse und Einschränkungen in § 147 Abs. 4 S. 2 und Abs. 5 S. 2 StPO gelten nicht, soweit die Gebrauchsanweisung - wie regelmäßig - sich nicht bei den Akten befindet.
Siegburg, den 30.4.2013
AG Siegburg:
Urteil v. 30.04.2013
Az: 207 OWi 18/13 (b)
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