Bundespatentgericht:
Beschluss vom 28. November 2000
Aktenzeichen: 14 W (pat) 07/00
(BPatG: Beschluss v. 28.11.2000, Az.: 14 W (pat) 07/00)
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
I Mit Beschluß vom 10. November 1999 hat die Prüfungsstelle für Klasse A 61 K des Deutschen Patent- und Markenamts die Patentanmeldung mit der Bezeichnung
"Pharmazeutische Zusammensetzung enthaltend Ifosfamid und Carnitin"
zurückgewiesen.
Dem Beschluß liegen die am 15. Oktober 1999 eingegangenen Ansprüche 1 bis 7 zugrunde, von denen die Ansprüche 1 und 2 wie folgt lauten:
"1. Verwendung einer pharmazeutischen Zusammensetzung enthaltend Ifosfamid und Carnitin zur Behandlung von Tumorerkrankungen.
2. Verwendung einer pharmazeutischen Zusammensetzung enthaltend Ifosfamid und Carnitin zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung von Tumorerkrankungen."
Die Anmeldung wurde zurückgewiesen, weil die Gegenstände der Ansprüche 1 und 2 im Hinblick auf den durch die Entgegenhaltung.
(1) Schlenzig J. S. et al.; Eur. J. Pediatr. 154 (1995) 686 bis 687 belegten Stand der Technik mangels Neuheit nicht patentfähig seien. In (1) werde nämlich auf Seite 686, mittlere Spalte, 3. Absatz bereits die Verwendung einer Ifosfamid (IFO) und L-Carnitin enthaltenden Zusammensetzung in der Tumorbehandlung beschrieben. Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei somit gegenüber Druckschrift (1) nicht mehr neu. Aus dem gleichen Grund sei auch der Gegenstand des Anspruchs 2 gegenüber (1) nicht mehr neu. Die Gegenstände der Ansprüche 3 bis 7 würden gegenüber den Ansprüchen 1 und 2 nichts eigenständig patentfähiges mehr enthalten und seien daher ebenfalls nicht gewährbar.
Gegen diesen Beschluß vom 10. November 1999 richtet sich die Beschwerde der Anmelderin. Im Hinblick auf Dokument (1) sowie die vom Senat ins Verfahren eingeführten Entgegenhaltungen
:
(2) Brüggemann S. et al., Annals of Hematology 73, Nr S2 (1996) A86
(3) EP 0 468 245 A1
(4) EP 0 469 440 A1 verfolgt sie ihr Patentbegehren gemäß Hauptantrag mit den am 27. November 2000 eingegangenen Ansprüchen 1 bis 9 weiter, wobei der Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:
"Verwendung von L-Carnitin zur Vermeidung oder Verringerung von proximalen Tubulusschädigungen der Nieren durch Ifosfamid bei einem Patienten, der mit Ifosfamid behandelt wird."
Mit Hilfsantrag I verfolgt die Anmelderin ihre Patentanmeldung mit den Ansprüchen 1 bis 9 vom 27. November 2000 weiter, wobei der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag I nach Berichtigung des offensichtlichen Schreibfehlers bei Carnitin (ohne "h") durch den Senat lautet:
"Verwendung von L-Carnitin zur Vermeidung oder Verringerung von proximalen Tubulusschädigungen der Nieren durch Ifosfamid bei einem Patienten, der mit Ifosfamid behandelt wird, wobei die Verabreichung von Carnitin intravenös oder oral erfolgt."
Gemäß Hilfsantrag II vom 27. November 2000 verfolgt die Anmelderin ihre Patentanmeldung mit den Ansprüchen 1 bis 9 weiter, wobei der berichtigte Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag II lautet:
"Verwendung von L-Carnitin zur Vermeidung oder Verringerung von proximalen Tubulusschädigungen der Nieren durch Ifosfamid bei einem Patienten, der mit Ifosfamid behandelt wird, wobei pro 1 Gewichtsteil Ifosfamid mehr als 0,033 Gewichtsteile Carnitin verabreicht werden und die Verabreichung von Carnitin intravenös oder oral erfolgt."
Mit dem Hilfsantrag III vom 27. November 2000 legt die Anmelderin 9 Ansprüche vor, wobei der berichtigte Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag III lautet:
"Verwendung von L-Carnitin zur Vermeidung oder Verringerung von proximalen Tubulusschädigungen der Nieren durch Ifosfamid bei einem Patienten, der mit Ifosfamid behandelt wird, wobei pro 1 Gewichtsteil Ifosfamid mindestens 0,36 Gewichtsteile Carnitin oder mehr verabreicht werden und die Verabreichung von Carnitin intravenös oder oral erfolgt."
Hilfsweise verfolgt die Anmelderin ihre Patentanmeldung mit den in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Ansprüchen 1 bis 8 weiter, wobei der berichtigte Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag IV lautet:
"Verwendung von L-Carnitin zur Vermeidung oder Verringerung von Schädigungen der Nieren durch Ifosfamid bei einem Patienten, der mit Ifosfamid behandelt wird, wobei die Verabreichung von Carnitin intravenös oder oral erfolgt und die verabreichten Gewichtsverhältnisse von Ifosfamid zu L-Carnitin im Bereich von etwa 1 : 10 bis etwa 1 : 20 liegen."
Die Anmelderin macht im wesentlichen geltend, daß keine der im Verfahren befindlichen Druckschriften weder einzeln noch in Kombination die Erfindung vorwegnehme oder sie nahelege.
In der Druckschrift (1) werde gezeigt, daß im Tiermodell an der Ratte die durch intraperitoneal verabreichtes Ifosfamid (1500 mg pro m2 pro Tag für 4 Tage) ausgelöste Enzephalopathie bei gleichzeitiger intraperitonealer Verabreichung von Carnitin (50 mg pro kg Körpergewicht) abnehme. Während hier eine Verminderung der Lethargie bei gleichzeitiger Verabreichung von Carnitin im Tiermodell beobachtet werde, würden sich die Angaben in Bezug auf die durch Ifosfamid verursachten Nephrotoxizität ausschließlich in Spekulationen verlieren. Somit werde dem Fachmann in (1) nur ein Zusammenhang mit der ZNS-Toxizität von Ifosfamid nahegelegt. Die Übertragung dieser technischen Lehre auf die Nephrotoxizität hätte dem Fachmann aber erfinderische Tätigkeit abverlangt. Darüber hinaus werde in (1) das Carnitin nur intraperitoneal verabreicht, während anmeldungsgemäß die intravenöse oder orale Applikation von Carnitin gelehrt werde. Dies ermögliche beispielsweise höhere Carnitin-Blutspiegel und ein genaueres Dosieren. Die Anmeldung lehre auch Carnitin in wesentlich höheren Dosierungen einzusetzen als dies aus (1) bekannt sei.
Die Anmelderin weist darauf hin, daß in der Entgegenhaltung (2) verschiedene Verbindungen auf ihre protektive Wirkung gegen 4-OH-Ifosfamid (4-OH-IFO) und Chloracetaldehyd (CLAA) verursachte Schädigungen von gesunden Nierenzellen invitro untersucht würden. Für Carnitin werde die geringste Schutzwirkung beobachtet, die innerhalb der statistischen Schwankungsbreite derartiger Untersuchungen läge, so daß diese Untersuchungen für einen Fachmann nicht aussagekräftig seien. Damit könne der Druckschrift (2) die erfindungsgemäße Verwendung von Carnitin nicht entnommen werden. Da in (2) nur invitro Zellversuche beschrieben seien, enthalte diese Entgegenhaltung auch keinen Hinweis auf die beanspruchte Art der Verabreichung von Carnitin. Dokument (2) weise somit den Fachmann von der Erfindung weg.
Die Verwendungen nach den geltenden Patentansprüchen gemäß Haupt- und Hilfsantrag I bis IV seien daher neu und würden auch auf erfinderischer Tätigkeit beruhen.
Die Anmelderin beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und die Erteilung des Patents mit folgenden Unterlagen:
Neue Patentansprüche 1 bis 9 (gemäß Hauptantrag) sowie neue Seite 2 der Beschreibung, eingegangen am 27. November 2000;
Beschreibung Seiten 1 und 3, eingegangen am 1. August 1997;
Figuren 1 und 2, eingegangen am 1. August 1997;
Tabellen 1 und 2, eingegangen am 1. August 1997;
hilfsweise die Erteilung des Patents mit den neuen Patentansprüchen 1 bis 9 (gemäß Hilfsantrag I), eingegangen am 27. November 2000; Beschreibung, Figuren und Tabellen wie Hauptantrag;
hilfsweise die Erteilung des Patents mit den neuen Patentansprüchen 1 bis 9 (gemäß Hilfsantrag II), eingegangen am 27. November 2000; Beschreibung, Figuren und Tabellen wie Hauptantrag;
hilfsweise die Erteilung des Patents mit den neuen Patentansprüchen 1 bis 9 (gemäß Hilfsantrag III), eingegangen am 27. November 2000; Beschreibung, Figuren und Tabellen wie Hauptantrag;
hilfsweise die Erteilung des Patents mit den neuen Patentansprüchen 1 bis 8 (gemäß Hilfsantrag IV), überreicht in der mündlichen Verhandlung am 28. November 2000; Beschreibung, Figuren und Tabellen wie Hauptantrag.
Die Anmelderin beantragt weiter hilfsweise, die Sache an das DPMA zurückzuverweisen zur Untersuchung der Frage, ob es sich bei dem erfindungsgemäßen Gegenstand um eine Erfindung nach Auffassung der Anmelderin oder um eine nicht patentfähige Entdeckung handelt.
Darüber hinaus regt sie an, die Rechtsbeschwerde zu der in der mündlichen Verhandlung überreichten, schriftlich formulierten allgemeinen Rechtsfrage zuzulassen.
Wegen weiterer Einzelheiten des schriftlichen Vorbringens wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II Die Beschwerde der Anmelderin ist zulässig (PatG § 73); sie konnte jedoch nicht zum Erfolg führen.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die gültigen Ansprüche formal zulässig sind, weil das Patentbegehren in jedem Fall aus sachlichen Gründen scheitert.
A. Zum Hauptantrag Der Anmeldung liegt die Aufgabe zugrunde, Substanzen zu charakterisieren, die in Kombination mit Ifosfamid die bekannten Nebenwirkungen (Schädigung des proximalen Tubulus der Niere) antagonisieren. Dabei mußte sichergestellt werden, daß die Antitumorwirkung von Ifosfamid durch die Kombination mit dem Antidot nicht aufgehoben oder abgeschwächt wird und keine zusätzlichen Nebenwirkungen durch die Gabe der Kombination auftreten. (vgl geltende Beschreibung S 2 Abs 4). Gelöst wird diese Aufgabe gemäß gültigem Anspruch 1 des Hauptantrags durch die Verwendung von L-Carnitin zur Vermeidung oder Verringerung von proximalen Tubulusschädigungen der Nieren durch Ifosfamid bei einem Patienten, der mit Ifosfamid behandelt wird.
Diese Verwendung gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags ist nicht patentfähig.
Nach Entgegenhaltung (1) ist L-Carnitin geeignet, die zelluläre Toxizität von Ifosfamid zu vermindern. Es wird im letzten Absatz der rechten Spalte auf Seite 686 zusammenfassend dargelegt, daß die zusätzliche Gabe von L-Carnitin bei Patienten, die mit Ifosfamid behandelt werden, vorteilhaft sein könnte. Bei der Metabolisierung von Ifosfamid entsteht ua Chloracetaldehyd, das zur Bildung von Chloracetyl-CoA und damit zu einer Abnahme der CoASH Konzentration (S 686 mittlere Sp Abs 1) führt. Im letzten Absatz der mittleren Spalte von Seite 686 findet sich der Hinweis, daß CoASH als unerläßlicher Aktivator in den meisten Energie liefernden Systemen eine Rolle spielt. Deshalb kann die Neuro- und vielleicht auch die Nephrotoxizität, die bei einer Behandlung mit Ifosfamid auftritt, nicht nur als eine direkte toxische Wirkung von Chloracetaldehyd, das beim Abbau von Ifosfamid entsteht, erklärt werden, sondern sollte auch auf einer akuten zellulären energetischen Notsituation beruhen. Durch die Gabe von L-Carnitin wird gemäß S 686 mittlere Spalte Z 13 bis 18 aber aus dem gebundenen CoA über die Bildung von Chloracetylcarnitin wieder wirksames CoA freigesetzt. Somit kann bereits der Entgegenhaltung (1) der Hinweis entnommen werden, daß L-Carnitin nicht nur die durch Ifosfamid verursachte Neurotoxizität vermeiden oder verringern kann, sondern daß durch die zusätzliche Gabe von L-Carnitin durchaus auch ein positiver Effekt in Bezug auf die Nephrotoxizität von Ifosfamid zu erwarten ist.
An dieser Sachlage kann auch die in der mündlichen Verhandlung überreichte Deklaration des Mitautors von Dokument (1) Dr. J. S. Schlenzig nichts ändern, in der er erklärt, daß sich seine in (1) gemachten Äußerungen allein auf die bei der Ifosfamidtherapie als Nebenwirkung auftretende Neuropathie beziehen sollen. Die Nephropathie werde in diesem Artikel nicht behandelt und sei deshalb aus diesem auch nicht ableitbar. Maßgebend, was aus einer Entgegenhaltung als bekannt zu werten ist, ist jedoch das Verständnis eines durchschnittlichen Fachmanns, hier zB eines mit der Entwicklung von Zusammensetzungen für die Krebstherapie betrauten Arztes oder Pharmakologen. Was dieser Fachmann mühelos am Anmeldetag als Inhalt einer Druckschrift versteht, muß als Stand der Technik gelten. Für das Verständnis eines Dokuments ist die Erklärung eines Mitautors zu einem späteren Zeitpunkt in der Regel jedenfalls nicht maßgeblich. Somit kann der Druckschrift (1) - wie oben dargelegt - durchaus auch ein positiver Effekt von L-Carnitin im Bezug auf die Nephrotoxizität von Ifosfamid entnommen werden.
Die Zweifel der Anmelderin am genauen Veröffentlichungsdatum der Druckschrift (2) konnten vom Senat während der mündlichen Verhandlung durch Vorlage einer Bescheinigung des Springer Verlags Heidelberg ausgeräumt werden. Diesem Dokument kann zweifelsfrei entnommen werden, daß die Entgegenhaltung (2) seit 30. September 1996 der Öffentlichkeit zugänglich ist.
Gemäß Druckschrift (2) ist Ifosfamid (IFO) ein nephrotoxisches Arzneimittel, das tubuläre Schäden verursacht. Im Körper wird aus IFO die aktivierte Form 4-OH-IFO und Chloracetaldehyd (CLAA) gebildet. Die renale tubuläre Zell-Linie Landa Leiden SV 40 TC (LL) wird als Testsystem eingesetzt, um verschiedene Substanzen auf eine Schutzwirkung gegen die giftigen Metabolite 4-OH-IFO und CLAA zu überprüfen. Mit einem weiteren Zellsystem wird untersucht, ob die Antitumorwirkung von Ifosfamid durch die Kombination mit den verschiedenen Antidota aufgehoben oder abgeschwächt wird. Es werden Wirkstoffkonzentrationen verwendet, wie sie bei der Tumortherapie mit Ifosfamid im Blut von Patienten vorliegen. Die Schutzwirkung von Carnitin ist gemäß (2) rechte Spalte Zeilen 9 bis 11 von unten am geringsten. 15 % der Zellen haben unter dem Schutz von Carnitin überlebt. Mesna, das nach den gültigen Unteransprüchen 8 und 9 gemeinsam mit L-Carnitin verwendet wird, hat eine bessere Wirkung als Carnitin. In (2) wird aber Carnitin zumindest versuchsweise zur Verminderung oder Verringerung von Tubulusschädigungen der Nieren, die durch Ifosfamid verursacht werden, eingesetzt.
Obwohl die Untersuchungen in Druckschrift (2) nur mit Zellkulturen durchgeführt werden und für Carnitin nur ein schwacher nephroprotektiver Effekt gemessen wird, wird bei der gegebenen Aufgabenstellung durch eine Zusammenschau der Entgegenhaltungen (1) und (2) die Verwendung von L-Carnitin zur Vermeidung oder Verringerung von proximalen Tubulusschädigungen der Nieren durch Ifosfamid bei einem Patienten, der mit Ifosfamid behandelt wird, nahegelegt. Dies gilt besonders deshalb, weil bereits in (1) sinngemäß darauf hingewiesen wird, daß die zusätzliche Gabe von L-Carnitin bei Patienten, die mit Ifosfamid behandelt werden, vorteilhaft sein könnte, um die zelluläre Giftigkeit von Ifosfamid zu verringern. Bei der aus (1) bekannten gemeinsamen Verwendung von Ifosfamid zusammen mit L-Carnitin stellt sich neben einer verminderten Neurotoxizität zwangsläufig die anmeldungsgemäße Vermeidung und Verringerung von proximalen Tubulusschäden der Nieren sogar von selbst ein. Der Fachmann konnte diese Wirkung bei Kenntnis der Druckschriften (1) und (2) auch durchaus erwarten. Im Hinblick auf die Dokumente (1) und (2) ist der gültige Hauptanspruch daher schon mangels erfinderischer Tätigkeit nicht gewährbar.
B. Zum Hilfsantrag I Auch der Verwendung von L-Carnitin zur Vermeidung oder Verringerung von proximalen Tubulusschädigungen der Nieren durch Ifosfamid bei einem Patienten, der mit Ifosfamid behandelt wird, wobei die Verabreichung von Carnitin intravenös oder oral erfolgt, kann die Patentfähigkeit nicht zuerkannt werden.
Der Hauptanspruch gemäß Hilfsantrag I unterscheidet sich vom Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, daß die Verabreichung von Carnitin intravenös oder oral erfolgen soll. Wie dem Fachmann bestens bekannt ist, werden handelsübliche Arzneimittel, die L-Carnitin enthalten, nur für die intravenöse oder orale Anwendung bereitgestellt. Da auch der Wirkstoff Ifosfamid in der Regel intravenös oder oral eingesetzt wird (s zB (4) Abstract und S 2 Z 9 bis 16), kann die zusätzliche Aufnahme der Verabreichungsform von L-Carnitin in den Anspruch 1 des Hauptantrags, der - wie oben bereits ausgeführt - nicht patentfähig ist, bei der gegebenen Aufgabenstellung die für eine Patenterteilung notwendige Erfindungshöhe für den neuen Hauptanspruch gemäß Hilfsantrag I nicht begründen. Der Hinweis der Anmelderin, daß in (1) das L-Carnitin intraperitoneal verabreicht wird, kann hier nicht durchgreifen. Diese Art der Applikation ist zwar im Tierversuch üblich. Der Fachmann wird bei der Anwendung von Arzneimitteln am Menschen aber immer zuerst an die gebräuchlichsten Formen, nämlich die orale oder intravenöse Verabreichung eines Medikaments, denken. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil für die intravenöse und orale Form der Verabreichung geeignete Präparate enthaltend Ifosfamid oder L-Carnitin am Anmeldetag handelsüblich waren. Die intraperitoneale Verabreichung ist in der Humanmedizin jedoch besonderen Indikationen vorbehalten, die hier nicht vorliegen. Somit ist auch Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I mangels erfinderischer Tätigkeit nicht gewährbar.
C. Zu den Hilfsanträgen II bis IV Die Hauptansprüche gemäß den Hilfsanträgen II bis IV unterscheiden sich vom Anspruch 1 des Hilfsantrags I im wesentlichen dadurch, daß zusätzlich das Gewichtsverhältnis von Ifosfamid zu Carnitin näher definiert wird. Im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II werden zur Abgrenzung gegenüber Druckschrift (1) pro 1 Gewichtsteil Ifosfamid mehr als 0,033 Gewichtsteile Carnitin verabreicht. Laut Patentanspruch 1 des Hilfsantrags III sollen pro 1 Gewichtsteil Ifosfamid mindestens 0,36 Gewichtsteile Carnitin oder mehr verabreicht werden. Zur Offenbarung dieser letzteren Gewichtsangabe verweist die Anmelderin auf Tabelle 1 der ursprünglichen Unterlagen. Anspruch 1 des Hilfsanspruchs IV verwendet zur Definition der Gewichtsverhältnisse die Merkmale des ursprünglichen Unteranspruchs 7, gemäß dem die verabreichten Gewichtsverhältnisse von Ifosfamid zu L-Carnitin 1 : 10 bis 1 : 20 betragen.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die gültigen Ansprüche der Hilfsanträge II bis IV formal zulässig sind, weil das Patentbegehren in jedem Fall aus sachlichen Gründen scheitert.
In der Druckschrift (2) re Sp Z 7 bis 9 von unten findet sich der Hinweis, daß ein zunehmendes molares Verhältnis der Schutzstoffe (zB Carnitin) zu Ifosfamid (1:1, 2,5 : 1, 5 : 1) das Überleben der tubulären Nierenzellen verbessert. Damit erhält der Fachmann aus der Entgegenhaltung (2) den entscheidenden Hinweis, daß das in (1) beschriebene Verhältnis von 50 mg L-Carnitin pro kg Körpergewicht zu 1500 mg Ifosfamid pro m2 durch die Erhöhung des Anteils an L-Carnitin zu einer Kombination mit verbesserter Schutzwirkung führen sollte. Das gemäß den gültigen Ansprüchen 1 nach den Hilfsanträgen II bis IV einzusetzende Gewichtsverhältnis von Ifosfamid zu Carnitin ist somit bei Kenntnis der Druckschriften (1) und (2) naheliegend. Daß innerhalb der beanspruchten Bereiche ein besonderer und nicht zu erwartender Effekt auftritt, kann den vorliegenden Dokumenten nicht entnommen werden und wurde von der Anmelderin auch nicht geltend gemacht. Somit können die beanspruchten Gewichtsverhältnisse von Ifosfamid zu L-Carnitin schon aus diesem Grunde die Patentfähigkeit nicht begründen. Auf der Grundlage der aus (2) bekannten invitro Testmethoden kann der Fachmann aber ohne weiteres durch orientierende Reihenversuche das Verhältnis von Ifosfamid zu L-Carnitin mit optimaler Schutzwirkung auffinden. Eine erfinderische Tätigkeit ist hierzu jedenfalls nicht notwendig.
Nach alledem sind auch die Gegenstände nach den Ansprüchen 1 gemäß den Hilfsanträgen II bis IV nicht erfinderisch. Die Ansprüche 1 der Hilfsanträge II bis IV sind daher mangels Erfindungshöhe nicht gewährbar.
Da über die Anträge des Anmelders nicht teilweise entschieden werden kann, fallen die weiteren Ansprüche mit den nicht gewährbaren Ansprüchen 1 gemäß dem Hauptantrag und den Hilfsanträgen I bis IV. D. Zu dem weiteren Hilfsantrag Der von der Anmelderin zu ihrem hilfsweise gestellten Zurückverweisungsantrag formulierten Frage mußte bei der oben dargestellten Sachlage nicht weiter nachgegangen werden, da die Gegenstände nach den Ansprüchen 1 gemäß dem Hauptantrag und den Hilfsanträgen I bis IV nicht erfinderisch sind und daher schon mangels Erfindungshöhe nicht gewährbar sind.
Die Beschwerde der Anmelderin war daher zurückzuweisen.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 100 Abs 2 PatG) liegen nicht vor. Dafür bietet auch die von der Anmelderin schriftlich formulierte Rechtsfrage
"Ist eine 2. oder weitere medizinische Indikation einer Substanz X nur dann patentfähig, wenn die 2. oder weitere medizinische Indikation Y2 gegenüber der bekannten medizinischen Indikation Y1 der Substanz X neu und erfinderisch ist und es sich bei dem Auftreten von Y1 und Y2 um verschiedene Patientengruppen handelt€"
keinen Anlaß, da wie oben ausgeführt ist, diese Frage für die Entscheidung des Senats im vorliegenden Fall nicht relevant ist.
Moser G. Wagner Harrer F. Feuerlein Ja
BPatG:
Beschluss v. 28.11.2000
Az: 14 W (pat) 07/00
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