Oberlandesgericht Stuttgart:
Urteil vom 3. November 2011
Aktenzeichen: 2 U 29/11

(OLG Stuttgart: Urteil v. 03.11.2011, Az.: 2 U 29/11)

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der Vorsitzenden der 43. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Stuttgart vom 24.02.2011 wird

z u r ü c k g e w i e s e n .

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gegenstandswert des Berufungsverfahrens: 150.000,00 EUR

Gründe

I.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, sie hat der Sache nach jedoch keinen Erfolg.

A

Zum einen wird auf die Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Kurz zusammenfassend und ergänzend:

Die Parteien sind Wettbewerber auf dem Gebiet der Herstellung und des Vertriebs von Bier, insbesondere auf dem hart umkämpften Biermarkt der Region S., weshalb auch die Klägerin den Auftritt (Produkte und Werbung) der Beklagten beobachtet (Klägerin Bd. IV = Bl. 617 [im Folgenden kurz: IV 617]).

Die Klägerin greift die Beklagte wegen ihres Slogans

Über 400 Jahre Brautradition,

den sie ab 2009 auch auf Bierkästen aufdrucken ließ, als irreführende Verlautbarung über Alter des Beklagtenunternehmens oder dessen Brautradition an.

Die Beklagte selbst ist 1958 gegründet worden und steht in der im Einzelnen streitigen Rechtsnachfolge aus verschiedenen Verschmelzungs- und Übernahmevorgängen.

Die Beklagte hatte - wie die Parteien nach der vor dem Landgericht stattgehabten Beweisaufnahme zu Grunde legen - im Jahre 1995 auf Rückseitenetiketten des HerrenPils die Werbeaussage 400 Jahre Tradition aufgenommen (Zeuge Z. IV 645; B 55 = IV 651, 661, 663, V 703), so ab 1998 auf Bauchetiketten (vgl. B 56 = IV 652) und ab (April) 1999 nur noch auf Bauchetiketten (IV 669; Zeuge Z. IV 645; B 56 = IV 652, B 57 = IV 653; IV 663, V 703, 720) und dies in der nun streitbetroffenen werblichen Äußerung:

Über 400 Jahre Brautradition.

Dies hatte die Klägerin wahrgenommen, jedoch unbeanstandet gelassen.

Die Klägerin war auch Adressatin eines Magazins der Beklagten im Sommer 1999 (B 58 = IV 654), auf dessen Titelseite neben dem S. Opernhaus eine Flasche Pilsner der Beklagten abgebildet war mit der inkriminierten Aufschrift Über 400 Jahre [Wappen] Brautradition. Auf S. 18 und 19 dieser Broschüre war unter der Überschrift VOM KLOSTER ZUR MODERNEN BRAUEREI die Verbindung der Beklagten mit einem Kloster St. L. (alte Schreibweise: St. L.) am Fuße der Burg H. hergestellt.

Ebenso seit 1999 gab es Plakataktionen (B 46 = IV 566 bis 576), auf denen auch Bierflaschen der Beklagten abgebildet waren, welche auf dem Bauchetikett die Zeile trugen: Über 400 Jahre [Wappen] Brautradition.

Im Jahre 2008 erwarb die Beklagte, welche der R.-Gruppe angehört und diese wiederum dem D.-Konzern, eine der Menge und dem Preis nach streitig gewesene, nach Feststellungen des Landgerichts eine Menge von 975.000 (US 12) neuer Bierkästen (1 Exemplar als Muster im Verfahren übergeben), welche ebenfalls in relativ kleiner Aufmachung, aber in Goldschrift die Aufschrift tragen:

Über 400 Jahre [Wappen] Brautradition,

und welche im Jahre 2009 nach und nach in den Markt gegeben worden waren.

Zur gleichen Zeit trat die Beklagte mit dieser Werbeaussage auch im Internet auf (K 2 = I 6); auch dort wurde der Bezug zum Kloster St. L. hergestellt.

Auch dies hatte die Klägerin ebenfalls wahrgenommen.

Diese jüngsten Werbeauftritte waren der Klägerin nun aber Anlass, mit der Geschäftsführung der Beklagten wegen dieser für unzulässig erachteten Werbung Gespräche aufzunehmen. Am 18.11.2009 mahnte sie die Beklagte, allerdings erfolglos, ab.

Die Klägerin hat im Wesentlichen vorgetragen,diese angegriffene Botschaft enthalte die Behauptung, das Brauwesen der Beklagten sei noch heute bestimmt von einem über 400 Jahre alten Braurezept, oder jedenfalls, das Unternehmen der Beklagten könne auf eine über 400-jährige Unternehmensgeschichte zurückblicken - beides unzutreffende und damit auch irreführende werbliche Verlautbarungen. Der Unterlassungsanspruch sei auch nicht verwirkt. Verwirkung trete im Bereich der Irreführung wegen der gleichzeitigen Berührung von Allgemeininteressen schon nicht ein. Die vorliegend ebenso ins Feld geführte lebensmittelrechtliche Irreführungsgefahr stelle insoweit noch strengere Maßstäbe auf. Auch streite nicht zu Gunsten der Beklagten der Gesichtspunkt der Unverhältnismäßigkeit. Das Hinnehmen des Werbeslogans auf Flaschenetiketten oder Plakatsäulen sei im guten Glauben geschehen, die Beklagte könne, wenn sie sich solchermaßen an die Verbraucher wende, auf gesicherte historische Bezüge zurückgreifen. Zudem sei jene werbliche Präsentation unauffällig gewesen. Die Anbringung nun am Bierkasten selbst stelle eine neue Dimension eines irreführenden Einsatzes dar, da der Slogan jetzt dem Kaufinteressenten unmittelbar ins Auge springe und seine Kaufentscheidung nachhaltig bestimme. Die Beklagte habe auch keinen schützenswerten Besitzstand erworben. Ihre Angaben über ihr Investment im Zusammenhang mit der Neubestückung mit Bierkästen seien zu bestreiten; im Übrigen sei der behauptete Besitzstand nicht schützenswert, da die Beklagte, wie der Rechtsstreit belege, selbst keine Kenntnisse über die geschichtliche Wahrheit ihrer Botschaft besessen, sie vielmehr ins Blaue hinein aufgestellt habe. Im Übrigen könne mit geringem Aufwand diese Fehlangabe am Kasten überklebt oder sonst getilgt werden.

Die Klägerin hat beantragt

[wie zweitinstanzlich erneut].

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat hauptsächlich eingewandt,ihre Angabe werde keineswegs im Sinne des Klägerverständnisses aufgenommen werden. Denn jeder wisse, dass Rezepte ständiger Fortentwicklung unterworfen seien; auch sei die Annahme, im Slogan werde eine Unternehmenskontinuität angesprochen, verfehlt. Im Übrigen treffe dies zu. Die Beklagte könne ihre Geschichte bis auf das Kloster St. L. zurückverfolgen, dem bereits 1591 ein Braurecht eingeräumt worden sei, welches es auch ausgeübt habe. Nach Übergang des Klosterbetriebes auf die fürstliche Brauerei und durch deren Erwerb im Jahre 1872 durch die Rechtsvorgängerin der Beklagten und deren operativen Fortbestand auch in den Verschmelzungsvorgängen württembergischer Brauereien wirke deren Braukunst in der Beklagten bis ins Jahre 1931 fort. Danach habe eine Verlagerung der Braustätte nach S. stattgefunden. Damit sei die Braustätte St. L. auch im Wandel der Geschichte integraler Bestandteil der Beklagten geworden und geblieben. Jedenfalls aber habe die Klägerin ihren Anspruch verwirkt. Sie habe sehenden Auges den Sloganeinsatz durch die Beklagte geduldet, und erst, als die Beklagte eine Grunderneuerung ihrer Betriebsmittel vorgenommen habe, ihre Beanstandung vorgebracht, um die Beklagte im harten Wettbewerb zu treffen und als Konkurrentin vom Markt zu verdrängen. Die Aufschrift auf dem Kasten sei ohnehin substanziell nichts anderes als die bis dahin betriebene Werbung. Betroffen sei ein Investitionsvolumen von 4 Mio. EUR für 975.000 Kästen. Deren Austausch sei weder logistisch noch finanziell zu bewältigen. Eine Überklebung als angeblich kostengünstiger oder eine sonstige Unkenntlichmachung des Aufdrucks sei nicht möglich. Danach sei das Klagebegehren nach den Umstands- und Zeitmomenten und in seiner wirtschaftlichen Auswirkung für die Beklagte unverhältnismäßig.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeugen S. (technischer Leiter der Beklagten, IV 632 f), A. (Marketingleiter von R., IV 640 f), R. (Prokurist jener Firma, welche die Beklagte bei der Entwicklung und Anschaffung der neuen Kästen beraten hat, IV 641 f) sowie des Zeugen Z. (vormaliger Marketingleiter der Beklagten, IV 644 f) und gelangte danach, nach den bereits aufgezeigten Umständen und dem ermittelten Investitions- und Austauschaufwand, zwar nicht zur Verwirkung des Anspruchs, aber doch zu seinem Scheitern wegen Unverhältnismäßigkeit.

Dagegen wendet sich die Berufung der Klägerin,die unter wiederholender Vertiefung an ihrem erstinstanzlichen Vorbringen festhält und insbesondere daran, dass die Voraussetzungen für die Annahme des Einwandes der Unverhältnismäßigkeit nicht vorlägen. Die Beklagte habe die ihr obliegende Beweislast für ihre brautechnische und unternehmerische Kontinuität, die über 400 Jahre zurückreiche, schon nicht zu erfüllen vermocht. Das landgerichtliche Urteil prämiere nun eine ins Blaue hinein aufgestellte Behauptung. Und dies, obgleich die Zeit der Hinnahme des Slogans unvergleichlich kurz gewesen sei, die Klägerin zudem darauf vertraut habe, die Beklagte werde nicht historisch ungeklärte Traditionsbehauptungen aufstellen, und obwohl die nun gewählte Art des Einsatzes der Werbebotschaft eine neue werbliche Dimension und Intensität erreiche (Display-Wirkung im Getränkemarkt, Flächenwirkung im Internet). Auch fehle es am wertvollen Besitzstand der Beklagten; ein solcher könne sich ohnehin nur auf Zeichenrechte, nicht aber auf Betriebsmittel erstrecken. Der behauptete Austauschaufwand in Höhe von 4 Mio. EUR sei dabei nicht isoliert zu betrachten, sondern zu messen etwa am Gesamtumsatz oder der Gesamtrendite; auch dazu fehlten Angaben der Beklagten. Und nicht zuletzt sei das Landgericht dem Beweisangebot der Klägerin nicht nachgegangen, die Tilgung der Aufschrift lasse sich mit 0,25 EUR je Kasten wirtschaftlich verträglich bewerkstelligen.

Die Klägerin beantragt:

Das Urteil des Landgerichts Stuttgart, AZ: 43 O 9/10 KfH vom 24.02.2011 wird abgeändert und die Beklagte wird verurteilt, es bei Androhung eines Ordnungsgeldes für jeden Fall der Zuwiderhandlung von bis zu EUR 250.000,00 und für den Fall, dass diese nicht beigetrieben werden kann, zur Ordnungshaft oder zur Ordnungshaft bis zu 6 Monaten zu unterlassen, Bier unter der Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung über 400 Jahre Brautradition in den Verkehr zu bringen oder das Inverkehrbringen mit dieser Aussage zu bewerben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung als richtig.

Hinsichtlich des weiteren Parteivorbringens wird auf die Schriftsätze sowie die Verhandlungsniederschriften verwiesen (§ 313 Abs. 2 S. 2 ZPO).

B1.a)

Eine Werbung ist irreführend im Sinne von § 5 Abs. 1 UWG, wenn das Verständnis, das sie bei den Verkehrskreisen, an welche sie sich richtet, erweckt, mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht übereinstimmt (BGH GRUR 2005, 442 [juris Tz. 15] - Direkt ab Werk; vgl. auch GRUR 1998, 949 [juris Tz. 21] - D-Netz-Handtelefon). Dabei ist maßgeblich, wie der angesprochene Verkehr die beanstandete Werbung aufgrund ihres Gesamteindrucks versteht (BGH GRUR 2005, 438 [juris Tz. 24] - Epson-Tinte; Bornkamm in Köhler/Bornkamm, UWG, 29. Aufl. [2011], § 5, 2.74).

b)

Dabei ist auf das Verständnis eines situationsadäquat aufmerksamen und durchschnittlich informierten und verständigen Verbrauchers abzustellen (BGH GRUR 2011, 633 [Tz. 25] - BIO-TABAK; vgl. auch GRUR 2011, 535 [Tz. 17] - Lohnsteuerhilfeverein Preußen).c)

Dieses Verständnis kann aber auch der Richter aufgrund eigener Sachkunde und Lebenserfahrung feststellen, wenn der Richter zum angesprochenen Verkehrskreis gehört, die Angabe sich auf Gegenstände des allgemeinen Bedarfs bezieht und es sich bei dem in der Werbung verwendeten Begriff um einen solchen handelt, dessen Verständnis in einem bestimmten Sinne einfach und naheliegend ist, sowie, dass keine Gründe vorliegen, die Zweifel an dem vom Gericht angenommenen Verkehrsverständnis wecken können (BGH GRUR 2000, 239 [juris Tz. 16] - Last-Minute-Reise; Köhler in Köhler/Bornkamm, a.a.O., § 12, 2.71; Büscher in Fezer, UWG, 2. Aufl. [2010], § 12, 321).

2.a)

Da vorliegend die unter 1. c) angeführten Voraussetzungen erfüllt sind, kann der Senat das Verständnis der werblichen Verlautbarung, welches sie beim angesprochenen Verkehr auslöst, selbst feststellen.

b)

Ein erheblicher Teil des angesprochenen Verkehrs wird Über 400 Jahre Brautradition die Aussage entnehmen, die Beklagte braue nach einem über 400 Jahre alten Rezept, das noch heute, wenngleich gewandelten brautechnischen Erkenntnissen folgend, letztlich die aktuelle Braukunst der Beklagten bestimme. Der Irreführungsgrad insoweit ist zwar ausreichend, das notwendige Quorum jedoch nur geringfügig überschritten. Denn wiederum ein erheblicher Teil des angesprochenen Verkehrs wird damit nur das Alter der Braukunst der Beklagten, die in ihrem Unternehmen verwurzelt ist, die Dauer dieser Herstellungstätigkeit, die Ausübungsdauer des Braugewerbes an sich umschrieben sehen, nicht aber - und schon gar nicht in Bezug auf die Aufschrift auf dem Bierkasten (vgl. K 1 = I 5) - das Alter des Herstellungsverfahrens oder der Rezeptur.

c)aa)

Bei dieser Ausgangswertung muss sich der Senat allerdings nicht beeinflusst sehen durch das Ergebnis der von der Klägerin vorgelegten Umfrage (K 7 = IV 559, K 8 = IV 560 bis 561), wonach von 195 Befragten bei 6 ungültigen Stimmabgaben 59,79 % in dieser Werbeangabe die Botschaft gesehen haben sollen, das Unternehmen braue Bier nach Methoden und/oder Rezepten, die über 400 Jahre alt sind, und gar 74,60 % die Aussage dahin verstanden haben sollen, das Unternehmen braue Bier nach Methoden bzw. Rezepten, die entwickelt wurden aus Methoden bzw. Rezepten, die über 400 Jahre alt sind. Denn außer dem Namen des Interviewers, dem Ort des Interviews und der Zeit ist nichts überliefert, was die methodische Richtigkeit der Befragung auch nur annähernd überprüfbar machen würde.

bb)

Nichts anderes gilt, soweit die Klägerin auf die BGH-Entscheidungen - Königl.-Baye-rische Weiße und Original-Maraschino verweist (I 101, 102).

(1)

Im Falle BGH GRUR 1992, 66 - Königl.-Bayerische Weiße sah der BGH in dieser Begriffsverwendung für Bier u.a. die Assoziation ausgelöst, dass mindestens an Traditionen aus der Zeit des Königtums, insbesondere an alte Rezepte oder Ähnliches angeknüpft werde (BGH a.a.O. [juris Tz. 31] - Königl.-Bayerische Weiße). Diese Verbindung wird aber durch die Bezugnahme auf königlich und bayerisch ausgelöst, zumal es gerade in Bayern ein Königtum gegeben hat und insoweit konkrete Beziehungen zu personalisierbaren Herrschaftshäusern herstellbar sind, welche vielfältig gewirtschaftet haben, so bekanntermaßen auch im Bereich des Brauwesens. Ferner geschieht dieser konkrete Bezug auch dadurch, dass eine bestimmte Biersorte, und nicht das gesamte Sortiment mit dieser Bezeichnung in Verbindung gebracht wird. Dieser Bezug zu einer bestimmten Dynastie und einem bestimmten Produktsegment fehlt vorliegend. Es wird die Tradition des Brauens als Gewerbe oder Handwerk und nicht die Kontinuität einer Herkunft und damit verbunden einer bestimmten Ware beworben.

(2)

Zwar hat der BGH GRUR 1982, 111 [juris Tz. 23] - Original-Maraschino festgestellt, dass es nach dem im Inland üblichen Verständnis der Traditionswerbung FOUR CENTURIES OLD TRADITION nicht als Rechtsfehler angesehen werden könne, wenn das dortige Berufungsgericht festgestellt habe, dass zumindest ein Teil des inländischen Verkehrs darin einen Hinweis auf eine 400 Jahre alte Unternehmenstradition oder ein solches Alter der Herstellungsweise sehe.

(3)

Ungeachtet der Frage, ob sich das Verkehrsverständnis seit 1979 (Urteil des dortigen Berufungsgerichts) oder auch das erforderliche Quorum geändert hat, so geht es vorliegend nicht um eine 400 Jahre alte Tradition, die durch Aufschrift auf dem Bierkasten einem bestimmten Produkt zugeschrieben worden ist, sondern um eine so lange Brautradition, die sich von einem bestimmten Produkt löst, soweit es um die neue Dimension der Werbung durch Aufdruck dieses Slogans auf der neuen Bierkastengeneration (K 1 = I 5) geht. Denn dort steht die Verlautbarung nur im Zusammenhang mit der weiteren Aufschrift: S. H., also der Beklagten selbst. Durch diesen Werbeeinsatz wird nur dem Unternehmen diese Tradition zugeschrieben. Zwar befindet sich in der Bierkiste eine bestimmte Biersorte. Der Kasten dient aber als Verwahr- und Transportbehältnis für alle Sorten. Dies wird der Verkehr unschwer erkennen und nicht dem konkreten Inhalt, jeder jeweiligen Biersorte im Kasten, diese Tradition zuweisen, sondern nur dem Unternehmen selbst.

cc)

Allerdings wertet der Senat die Aufschrift über 400 Jahre Brautradition auf der jeweiligen Bierflasche als Anzeige einer Rezept-Tradition. Dafür steht die zitierte BGH-Entscheidung Original-Maraschino. Auch wenn es dort um ein ganz spezielles Produkt (Kirsch-Likör) ging, dem unschwer eine besondere Rezeptur zugeschrieben werden kann, ist dies jedenfalls für einen erheblichen Teil des angesprochenen Verkehrs auch in Bezug auf die streitbetroffene Aussage der Fall, wenn sie auf dem Bauchetikett einer Bierflasche auftaucht. Zwar steht sie - und nur der konkrete, von der Klägerin überlieferte Marktauftritt kann Verletzungshandlung sein - dort als Oberzeile über S. H.; erst darunter folgt die Bezeichnung der Biersorte. Wer aber mit dieser Werbung konfrontiert wird, nimmt in der Regel nur diese Einzelflasche wahr (sei es noch im Regal, sei es beim Konsum), weiß nicht, dass das Wappen jenseits bloßen Zierrats das Wappen von S. H. sein soll und hat im Regelfall auch nicht die Möglichkeit eines Vergleichs, um festzustellen, dass dieser Slogan unabhängig von der jeweiligen Sorte alle Flaschen ziert. In dieser Vereinzelungssituation kann der Verbraucher leicht verführt sein, anzunehmen, bezüglich gerade dieses Biers in dieser Flasche gelte die Traditionsaussage, weshalb auch die Vorstellung erweckt werden kann, für dieses Produkt gilt mit dieser Traditionszusage auch das Versprechen einer alten, tradierten Rezeptur.

c)aa)

Wiederum ein erheblicher Teil des angesprochenen Verkehrs wird in der Werbebotschaft, gleichgültig, ob auf dem Kasten oder der Flasche, auch die Erklärung sehen, das Unternehmen der Beklagten könne auf eine über 400 Jahre zurückreichende Brautradition zurückblicken. Dabei wird dem maßgeblichen Verbraucher vertraut sein, dass Unternehmen - und gerade auch Brauereien - Übergänge, Verschmelzungen und sonstige Verwerfungen in der Firmengeschichte erfahren, weshalb er, wenn nicht etwa von Familientradition oder Ähnlichem die Rede ist, bei den vorliegenden Angaben nicht zwingend annehmen wird, es handle sich bei der Beklagten um ein Stammhaus, das es so, gar unter diesem Namen, schon vor über 400 Jahren gibt. Aber er wird annehmen, dass sich in diesem Unternehmen eine über 400-jährige Brautradition verkörpert, das auf eine solche Geschichte wenn nicht selbst, so doch in dem Sinne zurückgreifen kann, dass sie ihm als integraler Bestandteil seines Wirtschaftens, als von ihm aufgenommenes und umgesetztes Wissen und als Erfahrungsschatz dieser Braukunst selbst zu Gebote steht.

bb)

Dies ist dann nicht der Fall, wenn große Brüche in der Tradition bestehen, gleichsam der Zurechnungszusammenhang unterbrochen ist, die Fortschreibung des Referenzunternehmens sich verliert und im aktuellen Unternehmenskörper so verschwindend gering repräsentiert ist, dass nicht mehr davon gesprochen werden kann, das Ausgangsunternehmen bestimme das gegenwärtig werbende noch maßgeblich, sei noch heute seine mitprägende Wurzel. Ein vormaliger bloßer Zukauf eines Traditionsunternehmens, an dem sich das werbende dann nicht mehr ausrichtet, unterbricht diesen Zurechnungszusammenhang und macht einen Herkunftsverweis auf diese bloße Akquise als auch gegenwärtig maßgeblich mit bestimmenden Produktionsfaktor irreführend (vgl. auch BGH GRUR 1981, 69 [juris Tz. 16] - Alterswerbung für Filialen; OLG Düsseldorf GRUR 1998, 171, 172; OLG Jena NJOZ 2010, 1216; Helm in Gloy/Loschelder/Erdmann, Handbuch des Wettbewerbsrechts, 4. Aufl. [2010], § 59, 465 bis 467; Bornkamm in Köhler/Bornkamm a.a.O. § 5, 5.58 und 5.60 f; Peifer in Fezer, UWG, 2. Aufl. [2010], § 5, 384 f; Sosnitza in Piper/Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl. [2010], § 5, 648 und 652).

d)aa)

Grundsätzlich trifft die Klägerin die Darlegungs- und Beweislast für ihre Behauptung irreführender Werbung der Gegnerin (Bornkamm a.a.O. § 5, 323; Peifer in Fezer a.a.O. § 5, 478). Bei Werbebehauptungen fehlt dem außerhalb des Geschehensablaufs stehenden Kläger oft eine genaue Kenntnis der entscheidenden Tatumstände, sodass es ihm nicht möglich ist, den Sachverhalt von sich aus aufzuklären, während der Beklagte über die Kenntnisse verfügt und die notwendige Aufklärung ohne weiteres leisten kann (BGH GRUR 2007, 251 [Tz. 31] - Regenwaldprojekt II; HansOLG Hamburg MD 2011, 374 [juris Tz. 50]; Bornkamm a.a.O. 3.23; Peifer a.a.O. § 5, 480; Sosnitza a.a.O. § 5, 646). Eine Umkehr der Beweislast ist damit allerdings nicht verbunden (Peifer a.a.O. 480). Kommt der Beklagte dieser sekundären Darlegungs- und Beweislast dann nicht nach, so kann das Gericht davon ausgehen, dass die Behauptung unrichtig oder jedenfalls irreführend ist (Bornkamm a.a.O. 3.23; Peifer a.a.O. 480).

bb)

Bei mehrdeutigen Aussagen genügt es zur Begründung eines Unterlassungsanspruchs, wenn nur einer von mehreren nicht fernliegenden Deutungsvarianten die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt (München OLG-Report 2009, 786; Bornkamm a.a.O. § 5, 2.100 und 2.111).

e)

Soweit in der streitbetroffenen Angabe eine Aussage über die Anwendung eines über 400 Jahre alten Rezeptes zum Ausdruck kommt, stimmt diese Verlautbarung auch auf der Grundlage des Beklagtenvorbringens mit den wirklichen Verhältnissen nicht überein. Denn die Beklagte stellt einen solchen Verständnisgehalt nicht nur in Abrede und führt an, kein Rezept bleibe über die Jahrhunderte unverändert, sondern behauptet selbst nicht, dass ungeachtet gewisser Abwandlungen und Fortschreibungen auf eine auf die Braustätte St. L. unmittelbar zurückgehende Rezeptur zurückgegriffen werden könne.

f)

Soweit der maßgebliche Verkehr in der Äußerung nur die Bekanntgabe einer Alterswerbung, den Hinweis auf eine Unternehmenskontinuität, einen bis auf St. L. zurückverfolgbaren roten Faden an Know-how sieht, ergibt sich nach dem verfahrensrechtlichen Sachstand, dass diese Angabe als mit der Wirklichkeit übereinstimmend zu Grunde gelegt werden kann.

aa)

Voraussetzung hierfür ist, wie bereits aufgezeigt, eine Unternehmenskontinuität in dem Sinne, dass der wesentliche Charakter des Brauens sich allen Inhaberwechseln, Rechtsnachfolgen, Änderungen der Firmennamen, Verschmelzungen, Unterbrechungen wie Kriegswirren und Unglücksfällen zum Trotz sich als organische Fortentwicklung jener Braukunst darstellt, welche dereinst an der Braustätte St. L. gepflegt worden ist.

bb)

Davon kann im Zusammenspiel von primärer und sekundärer Darlegungslast nach dem jeweiligen Parteivorbringen ausgegangen werden, worauf der Senat in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat und was Gegenstand ausführlicher Erörterung war.

Danach war die Beklagte allerdings zu der Darstellung der Zurechnungsgeschichte aufgerufen. Denn betroffen sind interne Vorgänge. Die Beklagte hatte selbst zunächst angegeben, dass Belege für den Zeitraum 1607 und 1872 vorzulegen, die eine fortbestehende Braustätte bezeugen würden, schwierig sei (I 151). Wer aber, wie die Beklagte, sich auf diese Kontinuität beruft, muss, handelt sie redlich, solches zuvor selbst erforscht haben und ist danach unschwer in der Lage, den gebotenen Nachweis zu führen. Danach kann es im Ansatz nicht Aufgabe der Klägerin sein, zur Prozessvorbereitung einen Forschungsauftrag über die Firmen- oder die in der Beklagten verkörperte Tätigkeitsgeschichte zu erteilen. Vielmehr ist es zunächst an der Beklagten, die Begründung für ihre Berühmung offen zu legen. Dies hat sie letztlich durch die Beauftragung des Privatgutachters Dr. M. und die Vorlage von dessen Bewertung der Zurechnungsgeschichte (B 18 bis 33 b = II 201 bis 341) getan. Nach diesen Ausführungen, welche in sich schlüssig sind, spricht sehr vieles dafür, dass es schon am Ende des 16. Jahrhunderts eine Braustätte in St. L. gegeben hat (vgl. B 18 = II 213, 214; vgl. auch zu Bierlieferungen von dort aus in den Jahren 1607 oder 1608 die Unterlagen B 15 und 16 = I 65 und 67). Dass Mönche, selbst wenn nur für die Selbstversorgung, dort Bier gebraut haben, ist ausreichend für eine Stammbraustätte. Denn weder ist in der Wendung Brautradition enthalten noch erwartet der Verkehr sonst, dass vor über 400 Jahren schon eine industrielle Fertigung bestanden hat oder jedenfalls - wie die Klägerin fordert - dort ein Ausschank abgehalten worden ist. Die Braukunst, auf die der Slogan abstellt, erhält schon eine ausreichende Referenz, wenn auf Mönche abgestellt werden kann, die nur für sich gebraut haben. Dass diese Braustätte schon vor dem Reichsdeputationshauptschluss auf den Fürsten übergegangen ist (und zwar 1731), ist ebenso hinreichend dargetan wie die weiteren Erwerbsvorgänge im Jahre 1872 (B 33 = II 332 bis 340), wonach die dann fürstliche Brauerei St. L. bei H. an die S. Käufer Mu., D. und Mo. samt Inventar, Lagerstätte, Wasserbezugsrecht und Gewerbeeinrichtungen zur Mälzerei, Brauerei und Brennerei übergegangen ist (vgl. auch B 4 = I 35). Dass zu den Jahren davor sich nicht stets ein Dokument finden ließ, welches einen jährlichen Fortbestand der Braustätte belegt hat, ist unschädlich, da - wie der Privatgutachter ausführt und auch die Mitglieder des Senats aufgrund eigener Anschauung und Erfahrung wissen - eher Störungen (Brände, Plünderungen etc.) historisch verbürgt zu werden pflegen als der ungestörte betriebliche Fortbestand. Dieser Brauereibetrieb bestand bis 1931. Dann wurde auch nach Darstellung der Beklagten der Brauereibetrieb in St. L. eingestellt und nach S. verlagert. Doch auch dies vermochte nicht grundsätzlich der integralen Produktionsbetriebskontinuität entgegenzustehen. Denn dem Verkehr ist bewusst, dass im Laufe einer langjährigen Unternehmenstradition neue Betriebsteile und Filialen gegründet werden. Solange diese aus der Tradition des Stammhauses erwachsen sind und es sich um ein organisch entwickeltes Gesamtunternehmen handelt, bestehen keine Bedenken dagegen, dass sich dieses darauf als gleichsam sein Gründungsdatum beruft. Anders ist es, wenn ein innerer, organisch gewachsener Zusammenhang nicht besteht, z.B. wenn ein Juwelierunternehmen mehr als 100 Jahre nach seiner Gründung eine weit größere Filialkette übernimmt und auch für diese neuen Betriebe mit der Tradition des Stammhauses wirbt. Dadurch wird das Publikum irregeführt. Entsprechende Grundsätze gelten, wenn mit einer langen Unternehmenstradition für Produkte geworben wird, die erst später in das Programm aufgenommen wurden. Im Allgemeinen wird aber niemand annehmen, dass die gegenwärtig angebotenen Waren seit der Unternehmensgründung unverändert sind. Mit Änderung des Herstellungsprogramms rechnet der Verkehr. Anders ist es, wenn es sich nicht mehr um eine organische Weiterentwicklung handelt, sondern um einen grundlegend neuen Produktionszweig (Helm in Gloy/Loschelder/Erdmann a.a.O. § 59, 467; vgl. auch Bornkamm a.a.O. § 5, 5.55 f; Sosnitza a.a.O. § 5, 648), wenn sein Beitrag im Gesamtunternehmen, das seine Tradition auf diesen Beitrag stützt, jedenfalls als zumindest mit prägendes Element untergegangen ist. Die Beklagte hat aber dargelegt, dass diese Brautradition im erforderlichen Sinne in ihrem Unternehmen aufgegangen und erhalten geblieben ist. Denn ihre unmittelbare Rechtsvorgängerin, die W.-H. Brauereigesellschaft, war 1872 durch die Verschmelzung der Brauerei E. G. S. und der Fürstlichen H. Brauerei St. L. entstanden (II 366, B 6 = I 41; B 37 = II 349; Vertrag B 33 a = II 336). Dabei wurden die Angestellten der Brauerei St. L. übernommen (B 4 = I 35). Zwar weist die Veröffentlichung vom 11.11.1927 (B 37 = II 339) aus, dass die Rechtsvorgängerin der Beklagten die Bierherstellung selbst ... in S. seit der Fusion mit der R.-T. A.-G. lediglich in dem Brauereianwesen B. Straße [= S.] erfolgt. Die Brauereieinrichtungen sowohl in S. wie in H. sind für Malzherstellung aber erhalten geblieben; in H. sind sie eingerichtet gewesen für 40 Ztr. Schüttung pro Sud. 1931 ist dieser Zweigbetrieb allerdings stillgelegt worden. An diesem Platz wird nur noch eine größere Niederlage unterhalten (B 38 = II 350). Damit hatte zwar die Braustätte St. L. ihr Ende gefunden. Die Beklagte hat aber dargelegt, dass diese Braustätte bis 1872 eigenständig bestanden hatte, sie mit sämtlichen Betriebsmitteln und unter Einbringung des Fachpersonals verschmolzen wurde mit der anderen Brauerei E. G. in S. - Ergebnis dieses Verschmelzungsprozesses war die Rechtsvorgängerin der Beklagten -, weshalb die Brautradition St. L. inkorporiert wurde, integraler Bestandteil der Beklagten geworden ist und trotz Auflösung der Braustätte H. weiterhin ausreichend fortwirkendes Stammhaus der Beklagten geblieben ist.

Danach ist die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast gerecht geworden, indem sie schlüssig diese Zurechnungskontinuität aufgezeigt und in weiten Teilen auch urkundlich unterlegt hat.

Angesichts dieser zumindest schlüssig vorgebrachten und hinsichtlich wichtiger Schnittstellen mit Urkunden unterlegten Darstellung einer Braukunstkontinuität war es jetzt an der Klägerin, dieser sekundären Darlegung substantiiert entgegenzutreten. Dies war ihr nun auch zumutbar, da im Ansatz unschwer möglich. Denn die Beklagte hatte ihre Behauptungsgrundlagen geoffenbart, diese gründeten sich auf historische Quellen - mögen diese auch der Anforderung der Klägerin nach ausschließlich Primärquellen nicht durchgängig genügen (ein Erfordernis, welches der Senat nicht teilt, da etwa auch alte, zeitgenössische Zeitungsausrisse je nach deren Gehalt tragfähiges Darlegungsmittel für die Traditionsberühmung sind) - oder bestimmte Vorgänge und können danach ihrerseits mit dem nämlichen Aufklärungsinstrumentarium hinterfragt und ggf. widerlegt werden.

Daran fehlt es. Auch darauf hat der Senat in der mündlichen Verhandlung hingewiesen.

Danach kann von einer Unrichtigkeit und damit Irreführung in Bezug auf eine Knowhow-Kontinuität nicht ausgegangen werden.

3.

Damit liegt jedenfalls eine Irreführung in Bezug auf die Verständnisvariante Rezeptur-Kontinuität vor.

Diese ist auch relevant. Denn gerade im Bereich des Biermarktes kommt es ganz maßgeblich auf Tradition und alte Braukunst an. Damit werben Brauereien nachdrücklich, eine solche Geschichte ist ein entscheidendes Abgrenzungsmerkmal und für den, der darauf abzustellen vermag, ein maßgeblicher Vertriebsvorsprung, weshalb es von hoher Relevanz ist (vgl. auch BGH GRUR 2003, 628 [juris Tz. 33] - Klosterbrauerei).

4.

Soweit die Beklagte die Einwendung der Verwirkung geltend macht, verfängt diese, wie bereits vom Landgericht entschieden, nicht.a)aa)

Dem Kaufmann, der wegen Irreführung in Anspruch genommen wird, steht der Verwirkungseinwand grundsätzlich nicht zur Seite (BGH WRP 1997, 721, 724 - Lifting-Creme; GRUR 2003, 628 [juris Tz. 35] - Klosterbrauerei; Bornkamm a.a.O. § 5, 2.214; Köhler a.a.O. § 11, 2.14; Büscher a.a.O. § 8, 358). Dies ist namentlich dann der Fall, wenn auch Interessen der Allgemeinheit betroffen sind (BGH a.a.O. [juris Tz. 35] - Klosterbrauerei; Büscher a.a.O. 358), da es sich bei dem Irreführungsverbot um eine kollektive Verbotsnorm handelt (Sosnitza a.a.O. § 15, 20 und 220; vgl. auch Bornkamm a.a.O. § 5, 2.214).

bb)

Muss der Schuldner zudem davon ausgehen, dass der Berechtigte keine Kenntnis von dem ihm zustehenden Anspruch hat, fehlt es im Hinblick auf den konkreten Gläubiger an dem für die Verwirkung erforderlichen Vertrauenstatbestand (BGH a.a.O. [juris Tz. 35] - Klosterbrauerei; 2000, 144 [juris Tz. 24] - Comic-Übersetzungen II). Auch berechtigt die Verwirkung den Verletzer nicht, seinen Besitzstand auszuweiten (BGH GRUR 2008, 803 [Tz. 30] - HEITEC; Büscher a.a.O. 363).

b)

Vorliegend sind sowohl in Bezug auf den Irreführungsvorwurf der Rezeptur-Kontinuität wie im Übrigen auch den der Zurechnungskontinuität Allgemeininteressen berührt, da es um die Verbrauchererwartung hinsichtlich der Qualität des Produktes geht. Ferner konnte die Beklagte nicht annehmen, dass der Klägerin eine behauptete Lückenhaftigkeit in ihrer Darstellung der Know-how-Zurechnungskontinuität, anders bei der Rezeptur-Kontinuität, bekannt gewesen war. Und nicht zuletzt steht dem Verwirkungseinwand auch entgegen, dass die Klägerin nur den werblichen Einsatz der Alterswerbung auf den Flaschenetiketten geduldet hatte, nicht aber die Ausweitung der Slogan-Verwendung nun auch im Internet und auf Bierkästen.

5.a)

Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit ist aber, unabhängig von einer Verwirkung, eine Irreführungsgefahr in besonderen Ausnahmefällen hinzunehmen, wenn die Belange der Allgemeinheit und der Mitbewerber nicht in erheblichem Maße ernsthaft in Mitleidenschaft gezogen werden, weil nur eine geringe Irreführungsgefahr vorliegt oder schutzwürdige Interessen des auf Unterlassung in Anspruch Genommenen entgegenstehen. Letzteres kommt vor allem dann in Betracht, wenn durch das Verbot ein wertvoller Besitzstand an einer Individualkennzeichnung zerstört würde (BGH GRUR 2007, 1079 [Tz. 33] - Bundesdruckerei; 2003, 628 [juris Tz. 36] - Klosterbrauerei; Bornkamm a.a.O. § 5, 2.211 bis 2.217, 5.68; Peifer a.a.O. § 5, 263; Helm a.a.O. § 59, 166 f).

aa)

Die Irreführungsgefahr ist vorliegend gering.

(1)

Selbst wenn man - entgegen der vorangestellten Wertung - die Know-how-Kontinuität nicht für lückenlos dargelegt ansähe, so wäre angesichts der Darstellungs- und Belegdichte diese Berühmung der Beklagten nicht gänzlich grundlos, der damit einhergehende Irreführungsgrad eher gering.

(2)

Nichts anderes gilt auch für die bejahte Irreführung hinsichtlich der Rezeptur-Kontinuität. Der Senat nimmt zwar an, dass das Quorum der Irreführung erreicht ist, veranschlagt dessen Überschreitung aber nicht als sehr hoch. Selbst wenn man der vorgelegten Verbraucherbefragung (K 7 und K 8 = IV 559 und 560) Beachtlichkeit zubilligte, so waren im Übrigen auch dort die wenigsten der Befragten der Ansicht, der Slogan besage, das Unternehmen braue Bier nach Methoden und/oder Rezepturen, die über 400 Jahre alt sind.

bb)

Ferner liegt eine lange Zeit unbeanstandeten Duldens vor.(1)

Hinsichtlich der Werbung für Rezeptur-Kontinuität hatte die Klägerin unstreitig diesen Einsatz schon 1995 (Rückenetiketten auf HerrenPils) und ab 1999 auf nahezu allen Bauchetiketten wahrgenommen. Zwar waren insofern beklagteninterne Vorgänge betroffen. Die Klägerin hatte aber schon in der Klage vorgetragen, die Tatsache, dass das Bier in einem anderen Verfahren hergestellt wird, als vor über 400 Jahren, ist gerichtsbekannt (I 2). Ihr als Expertin in diesem Gewerbe war diese Erkenntnis noch weniger verschlossen. Danach war für sie die Fragwürdigkeit einer solchen Berühmung greifbar, jedenfalls aber mussten bei ihr erhebliche Zweifel an der Richtigkeit dieser werblichen Verlautbarung aufkommen. Diese hätte sie durch eine Berechtigungsanfrage (vgl. BGH GRUR 1997, 896 [juris Tz. 29] - Mecki-Igel III; Büscher a.a.O. § 12, 55; vgl. auch OLG Karlsruhe GRUR-RR 2008, 197 [juris Tz. 19]) unschwer klären können. Stattdessen diesen Werbeeinsatz über weit mehr als 10 Jahre unbeanstandet hingenommen zu haben, schlägt in der geforderten Interessenabwägung nachhaltig zu Gunsten der Beklagten aus.

(2)

Solches gilt auch, soweit eine Erstreckung dieser Werbebotschaft auf Bierkästen oder im Internet geschah. Die Beklagte hatte diesen Slogan ersichtlich durchgängig eingesetzt und zu einem für sie wichtigen Werbeinstrument gemacht. Seine Fortschreibung in anderen zeitgemäßen Medien oder etwa im Zuge der Erneuerung des bisherigen Logistikgutes Bierkiste drängte sich nachgerade auf, mag damit auch eine weitere Intensivierung dieser für unzulässig erachteten Werbung einhergegangen sein. Die Erstreckung dieser in den Augen der Klägerin überaus fragwürdigen Aussage im Rahmen üblicher Werbestrategien war geradezu vorgezeichnet. Das Schweigen der Klägerin über eine so lange Zeit in wichtigen Werbesegmenten trägt der Beklagten ebenfalls ein ihr günstiges Abwägungselement zu.

(3)

Dies gilt auch, wenn man entgegen dem Wertungsansatz des Senates davon ausginge, die Beklagte hätte die Know-how-Kontinuität in ihrem Unternehmen nicht hinreichend dargelegt. Zwar ist insofern davon auszugehen, dass die Klägerin - anders als bei der Rezeptur-Kontinuität - keine hinreichend greifbaren Kenntnisse über diese - angebliche - Unrichtigkeit dieser Altersangabe gehabt hätte. Doch auch hier hätte sie durch eine Berechtigungsanfrage unschwer Aufklärung erhalten können in Bezug auf jene Zweifel, welche sie nach über 10 Jahren plötzlich entwickelte, und zwar in einem solchen Maße, dass sie der erst im Jahre 1958 gegründeten Beklagten ohne eigene Nachforschung in der Klage eine solche Know-how-Tradition rundweg absprach.

(4)

Zudem war der Klägerin auch die - in ihren Augen - Ausweitung des Einsatzes im Internet und auf Bierkästen erst konkreter Anlass, die Slogan-Verwendung zu beanstanden, da nach ihrer Meinung in der angeblichen sog. Display-Werbung der Aufschrift auf in Getränkemärkten gestapelten Bierkästen eine neue Qualität der Beeinträchtigung liege (V 707; vgl. auch IV 553, 556). Danach ist auch der über mehr als ein Jahrzehnt wahrgenommene, aber unbeanstandet hingenommene Einsatz auf Bierflaschen allemal in einem weit stärkeren Maße schutzwürdig erstarkt.

cc)

Ungeachtet einer gebotenen Differenzierung nach dem jeweiligen Werbeträger (hier Flaschen und Plakate, dort Internet und Kästen) und selbst eine unterschiedliche Bewertung hinsichtlich des Aussagegehaltes Rezeptur-Kontinuität einerseits und Know-how-Zurechnungskontinuität andererseits hintangestellt, hat weiter bei der Interessenabwägung Beachtung zu finden, welchen Besitzstand die Beklagte erlangt hat, sprich, welche Folgen die Vorenthaltung des Besitzstandschutzes bei der Beklagten zeitigen würde.

(1)

Hinsichtlich des wertvollen Besitzstandes kann auf Erkenntnisse zu § 21 MarkenG zurückgegriffen werden. Zu einem solchen Besitzstand zählt zwar auch die Innehabung eines Kennzeichens (Fezer, MarkenR, 4. Aufl. [2009], § 21 MarkenG, 31), aber etwa auch der Kundenstamm (Ingerl/Rohnke, MarkenG, 3. Aufl. [2010], § 21, 46; von Hellfeld in Ekey/Klippel/Bender, MarkenR, 2. Aufl. [2009], § 21 MarkenG, 38), darunter fallen aber auch betriebliche Einrichtungen, Vorkehrungen und Investitionen für die Herstellung des - dort - patentverletzenden Erzeugnisses (BGH GRUR 2001, 321, 326 - Temperaturwächter). Danach muss - anders als die Klägerin meint - der Besitzstand nicht in einem Kennzeichen liegen. Der Besitzstand kann sich auch in Investitionen in Betriebsmitteln wie z.B. in Transportbehältnissen verkörpern.

(2)

Allerdings ist bloße, durch nichts belegte oder auch nur unter Beweis gestellte Behauptung der Beklagten geblieben, dass die Klägerin bewusst zugewartet habe, bis die Beklagte mit dem Austausch ihres Bierkastenbestandes eine enorme Investition getätigt hatte, um sie als Konkurrentin durch eine erzwungene erneute Austauschinvestition an den Rande der wirtschaftlichen Vernichtung zu führen. Dies fügt sich ein in eine Reihe pointierter Zuspitzungen, von denen die Beklagte nicht wenig Gebrauch gemacht hat (vgl. nur beispielhaft deren letzten Schriftsatz vom 23.08.2011: Die Klägern, die den erstinstanzlichen Vortrag der Beklagten nicht gelesen zu haben scheint, ... [V 765], Diese Rechtsauffassung ist abwegig [V 768], Die Klägerin ... will allen Ernstes streitig stellen, dass ... [V 770], Die ... Angriffe der Klägerin auf den sachverständigen Zeugen Dr. M., ..., sollen hier nicht weiter kommentiert werden. Diese unsachlichen und zudem ersichtlich respektlosen Anfeindungen der Klägerin sprechen ... [V 771]).

(3)

Andererseits kann nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und den Feststellungen des Landgerichtes davon ausgegangen werden, dass die Beklagte 975.000 neue Bierkästen angeschafft hat (IV 640), dass damit ein Investitionsvolumen von 3,75 Mio. EUR betroffen war (IV 638, V 718) und dass die Lebensdauer einer Kiste 10 bis 15 Jahre beträgt (IV 539, 640), womit bislang (Inverkehrbringung ab März 2009) allenfalls 1/5 der Kastenlaufzeit verstrichen und damit die Amortisation der Investition erst zu 1/5 eingetreten wäre.

(4)

Stellt man das Investitionsvolumen in die Abwägung ein, kommt es allerdings nicht nur auf deren absolute Zahl an. Denn Kriterien bei der Feststellung eines wertvollen Besitzstandes sind u.a. Umsatz und Gewinn, die der Verletzer durch den wettbewerbswidrig erlangten Besitzstand erzielt und die Werbeaufwendungen, die er zur Begründung getätigt hat (Büscher a.a.O. § 8, 363; Ohly in Piper/Ohly/Sosnitza a.a.O. § 8, 177 m.N.), wofür der Verletzer die Beweislast trägt (BGH GRUR 1988, 776 [juris Tz. 23] - PPC; Büscher a.a.O. § 8, 363; Köhler a.a.O. § 11, 2.25). Wertvoll ist der Besitzstand aber grundsätzlich nur, wenn er bezogen auf die Betriebsgröße des Verletzers von Gewicht ist (BGH GRUR 1990, 1042 [juris Tz. 38] - Datacolor [reichen bei Unternehmen der hier in Rede stehenden Art ... nicht ...]; 1989, 949 [juris Tz. 34] - Maritim [die Beklagte ein mittelständisches Unternehmen ...]; 1988, 776 [juris Tz. 23] - PPC [Umfang der Zeichenverwendung darlegungsbedürftig, um sich überhaupt der Möglichkeit einer Abschätzung des etwaigen Bekanntheitsgrades anzunähern ...]; Bergmann in Harte/Henning, UWG, 2. Aufl. [2009], Vorb. zu § 8, 39; mit gegenläufiger Folgerung aus den bezeichneten BGH-Entscheidungen [Köhler a.a.O. § 11, 2.25: nur absolute Zahlen relevant]; vgl. ferner BGH GRUR 1993, 913 [juris Tz. 25] - KOWOG [Umsatzzahlen ... in der Relation zur Betriebsgröße]). Der BGH hat jedoch einen Jahresumsatz von 5 Mio. DM für sich für nicht ungeeignet erachtet, einen beachtlichen Wert einer Bezeichnung für einen mittelständischen Betrieb zu indizieren (BGH a.a.O. [juris Tz. 25] - KOWOG).

(5)

Die Vernichtung von 3,75 Mio. EUR ist für ein mittelständisches Unternehmen wie die Beklagte (auch der Geschäftsführer der Klägerin bezeichnete die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat als kleines mittelständisches Unternehmen) - ungeachtet ihrer Behauptung, ob existenzvernichtend - von solchem Gewicht, dass sie geeignet ist, einen wertvollen Besitzstand widerzuspiegeln, zumal - nicht nur bezüglich der Flaschen - ein weiterer Aufwand getrieben werden müsste, die rückläufigen Kästen von den wiederum neu angeschafften in automatischen Befüllungsstraßen zu trennen und diese zudem einer nicht billigen umweltgerechten Entsorgung zuzuführen.

Deshalb verfängt der Einwand der Klägerin letztlich nicht, die Beklagte habe Angaben z.B. zu ihrem Gesamtumsatz oder ihrer Rendite vermissen lassen.

dd)(1)

Aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kann sich ergeben, dass die Werbung ohne Änderungen und Zusätze fortgesetzt werden darf (Helm a.a.O. § 59, 172). Andererseits hat sich die Verhältnismäßigkeitsbetrachtung auch daran auszurichten, ob bloße Änderungen oder Zusätze nicht nur erforderlich, sondern auch hinreichend, weil jedenfalls insoweit zumutbar sind, um eine Verträglichkeit von einerseits Unterlassungsschutz und andererseits Besitzstandswahrung zu gewährleisten.

(2)

Die Klägerin hatte unter Sachverständigenbeweis gestellt, dass die Aufschrift auf den Bierkästen für 25 ct je Kasten beseitigbar sei (IV 621), womit demnach ein Aufwand von ca. 250.000,00 EUR entstünde, um einen im Ausgangspunkt rechtmäßigen Zustand wieder herzustellen. Nicht eingerechnet sind dabei aber die Kosten für die Nachetikettierung der Flaschen und den logistischen Aufwand, diese und die Kästen im Rücklauf auszusortieren.

(3)

Bezogen auf den Irreführungsgehalt der Verständnisvariante: Rezeptur-Kontinuität, der eher geringgradig ist, und an welchem sich die Klägerin in Bezug auf Flaschenaufdrucke nicht unmittelbar gestoßen hatte, wäre auch ein solcher Gesamtaufwand unverhältnismäßig.

(4)

Hinsichtlich der Know-how-Kontinuität sieht der Senat - wie dargelegt - mangels nachgewiesener Verfehlung der historischen Daten ohnehin keine Irreführung. Ungeachtet dessen wäre auch auf der Grundlage des mit Beweisantritt (Sachverständigengutachten, IV 621) gehaltenen Klägervortrages in die Interessenabwägung einzubeziehen, dass neben Kosten für eine Aufschrifttilgung weitere Zusatzkosten von 2 bis 3 Mio. EUR für eine neue Förderanlage anfielen, wie die vor dem Landgericht geführte Beweisaufnahme er-bracht hat (IV 635). Auch diese Kostenposition, selbst bei der Möglichkeit der kostengünstigeren Beseitigung der Kistenaufschrift im Klägersinne, verschöbe im Verbund mit dem Zeit- und Umstandsmoment auch in Bezug auf die behauptete Irreführung über die Know-how-Berühmung die Gewichte der zu berücksichtigenden Interessen in einem solchen Maße zu Lasten der Beklagten, dass auch insoweit der landgerichtlichen Wertung beigetreten werden kann, dass ein Unterlassungsanspruch am Unverhältnismäßigkeitseinwand scheiterte.

II.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 708 Nr. 10, 711, 542, 543 i.V.m. § 3 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Der Senat legt seiner Bewertung ausschließlich anerkannte, überwiegend auch durch aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung gedeckte Rechtsgrundsätze zu Grunde. Die Sachbehandlung erschöpft sich einzig in deren Umsetzung auf den vorliegenden Einzelfall.

Hinsichtlich der Festsetzung des Gegenstandswertes folgt der Senat der landgericht-lichen Wertbemessung, die ihrerseits die Wertangabe der Klägerin in der Klage aufgenommen hat, welche auch keinen Widerspruch im Verfahren fand.






OLG Stuttgart:
Urteil v. 03.11.2011
Az: 2 U 29/11


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/fd7bed4d5793/OLG-Stuttgart_Urteil_vom_3-November-2011_Az_2-U-29-11




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