Bundespatentgericht:
Beschluss vom 13. Juli 2004
Aktenzeichen: 14 W (pat) 62/03

(BPatG: Beschluss v. 13.07.2004, Az.: 14 W (pat) 62/03)

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Mit dem angefochtenen Beschluß vom 22. April 2002 hat die Patentabteilung 45 des Deutschen Patent- und Markenamtes das Patent 199 25 058 mit der Bezeichnung

"Orthopädische Bandage"

widerrufen.

Der Widerruf ist im wesentlichen damit begründet, daß orthopädische Bandagen, wie sie mit dem seinerzeit geltenden Patentanspruch 1 angegeben würden, gegenüber der Entgegenhaltung

(1) WO 94/03211 A1 nicht mehr neu seien.

Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der Patentinhaberin, die im Rahmen der mündlichen Verhandlung die Teilung des Patentes erklärt und das Stammpatent auf der Grundlage des nunmehr einzigen Patentanspruches 1 weiterverfolgt. Dieser Patentanspruch hat folgenden Wortlaut:

Orthopädische Bandage, enthaltend ein flexibles Trägermaterial und eine Klebemasse, dieein thermoplastisches Verhalten aufweist, oberhalb einer Aktivierungstemperatur mindestens haftklebrig ist, unterhalb der Aktivierungstemperatur wenigstens teilweise kristalline Strukturen bildet, undbei einer Temperatur unterhalb von 40¡C ein Schermodul von mehr als 100.000 Pa aufweist, unddie orthopädische Bandage wenigstens teilweise für Röntgenstrahlen durchlässig ist.

Zur Begründung trägt sie im wesentlichen vor, daß orthopädische Bandagen, wie sie nunmehr beansprucht würden, gegenüber dem gesamten entgegengehaltenen Stand der Technik neu seien und ihre Bereitstellung auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Die Neuheit gegenüber (1) sei gegeben, weil im Zusammenhang mit den dort beschriebenen Materialien nur die zu deren Verformung erforderliche Erweichungstemperatur angegeben werde, Hinweise auf eine Aktivierungstemperatur, wie sie mit der Streitpatentschrift definiert werde, dagegen fehlten. Ferner sei an keiner Stelle der Druckschrift erwähnt, daß das Klebematerial oberhalb einer Aktivierungstemperatur mindestens haftklebrig und unterhalb dieser Temperatur nicht mehr klebrig sein solle. Sie bestreitet im weiteren, daß (1) Angaben zu einer sich unterhalb der Aktivierungstemperatur bildenden wenigstens teilkristallinen Struktur der Polymeren entnommen werden könnten. Auch werde in diesem Dokument nicht das Schermodul der Klebemassen an sich genannt. Die erfinderische Tätigkeit sieht sie gegeben, weil sich keine der insgesamt im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen mit der Klebrigkeit von mit Heißklebemassen beschichteten orthopädischen Bandagen beschäftige.

Die Patentinhaberin beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Stammpatent auf der Grundlage des einzigen Patentanspruches 1, überreicht in der mündlichen Verhandlung, sowie mit einer noch anzupassenden Beschreibung und Zeichnung gemäß Patentschrift aufrecht zu erhalten.

Die Einsprechende beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie widerspricht dem Vorbringen der Patentinhaberin.

Die Neuheit der orthopädischen Bandagen gemäß Streitpatent bestreitet sie im Hinblick auf die Entgegenhaltung (1). Diese nenne nicht nur Bandagen, sie gebe auch thermoplastische Kunststoffe als eine der aufbauenden Komponenten an. Diese seien in einem Temperaturbereich von 55 bis 70¡ C erweichbar, in diesem Bereich auch selbstklebend und wiesen darüber hinaus ein Modul von 350 MPa auf. Im Hinblick auf das im Patentanspruch 1 angegebene Schermodul verweist sie zudem auf

(2) H. Saechtling "Kunststoff Taschenbuch", 22. Aufl., 1983, Hanser Verlag München, S 212 und 513.

Aus dieser Entgegenhaltung sei nämlich zu ersehen, daß thermoplastische Kunststoffe, wie sie gemäß Streitpatent Verwendung fänden, von vornherein Schermodule aufwiesen, die in einem Bereich lägen, wie er im Patentanspruch 1 angegeben werde. Sie vertritt ferner die Auffassung, daß es sich bei der "Aktivierungstemperatur" um einen weit gefassten Begriff handle, der immer dann zur Bezeichnung einer Temperatur herangezogen werden könne, wenn ein Material zu einem bestimmten Zweck aktiviert werde. (1) nenne aber auch die kristallinen Strukturen, die die Polymeren ausbildeten. Gerade solche Massen seien jedoch im kalten Zustand, dh nach Unterschreitung der Aktivierungstemperatur, nicht klebrig und bei erhöhten Temperaturen als Schmelzkleber verwendbar.

Zu weiteren Einzelheiten des schriftlichen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig (§ 73 PatG); sie ist aber nicht begründet.

Die formale Zulässigkeit des nunmehr geltenden einzigen Patentanspruches 1 ist gegeben. Er geht auf die ursprünglich eingereichten und erteilten Patentansprüche 1 und 21 zurück.

Die Beschwerde führt nicht zum Erfolg, weil die nunmehr mit dem Stammpatent beanspruchte orthopädische Bandage gegenüber der Entgegenhaltung (1) nicht neu ist.

Die Entgegenhaltung (1) gibt ein in der Orthopädie verwendbares Material an, das aus einem mit einer Klebemasse beschichteten flexiblen Trägermaterial besteht und ua in Form einer Bandage vorliegen kann (vgl Patentansprüche 1, 8 und 9 iVm Beschreibung S 9 Z 6 bis 13 und 19 bis 23 sowie S 12 Z 1/2). Dabei weist die Klebemasse ein thermoplastisches Verhalten auf. Sie ist bei Temperaturen von 55 bis 70¡ C aber nicht nur verformbar, sondern auch selbstklebend. Ferner bilden die in dieser Klebemasse enthaltenen Polymere unterhalb der Erwärmungstemperatur kristalline Strukturen aus (vgl Patentanspruch 1 iVm Beschreibung S 4 Z 30 bis S 5 Z 5, S 6 Z 21 bis 35 und S 10 Z 2 bis 18). Schließlich besitzt das in (1) beschriebene Material die Eigenschaft, teilweise für Röntgenstrahlen durchlässig zu sein (vgl Beschreibung S 4 Z 31 bis 33).

Nun wird in (1) im Zusammenhang mit den dort zur Verfügung gestellten Materialien auch ein Modul genannt (vgl Patentanspruch 1 iVm den Beispielen I, II, IV und V). Angaben jedoch, um welchen Modul es sich dabei handeln könnte, sind der Schrift an keiner Stelle zu entnehmen. Dies kann aber die Neuheit der beanspruchten orthopädischen Bandagen ebenso wenig begründen, wie das Fehlen des Begriffes "Aktivierungstemperatur".

Als polymere Komponenten der Klebemassen finden gemäß (1) thermoplastische Kunststoffe Verwendung. Thermoplastische Kunststoffe besitzen aber, wie aus der Entgegenhaltung (2) zu ersehen ist, bei Temperaturen unterhalb von 40¡ C Schermodule, deren Werte die im nunmehr geltenden Patentanspruch 1 angegebene untere Grenze von 100 000 Pa üblicherweise überschreiten. So weisen nach den in diesem Dokument angegebenen Schubmodul(=Schermodul)-Temperaturkurven zB Polyester - Polymere, die sowohl nach (1) als auch gemäß Streitpatent eingesetzt werden - unterhalb der in Rede stehenden Temperatur Schermodule von 50 N/mm2 auf, wobei sich dieser Bereich im Falle weiterer thermoplastischer Kunststoffe bis auf ca 1500 N/mm2 erstrecken kann (vgl S 212 Bild 103 und S 513 Bild 142 a). Umgerechnet entspricht dies Werten von 5 x 107 bzw 1,5 x 109 Pa, dh Werten, die deutlich über dem im geltenden Patentanspruch 1 angegebenen unteren Grenzwert liegen. Somit handelt es sich im Falle des Schermoduls um eine thermoplastischen Polymeren inhaerente Eigenschaft, weshalb das in Rede stehende Merkmal mit der Verwendung zumindest jener thermoplastischen Kunststoffe, deren Schermodul in Abhängigkeit von der Temperatur in den zitierten Kurven beispielhaft dargestellt ist, von vornherein erfüllt ist.

Schließlich kann auch der Auffassung der Patentinhaberin nicht zugestimmt werden, die Bandagen gemäß geltendem einzigem Patentanspruch unterschieden sich bereits deshalb von den in (1) beschriebenen, weil in diesem Dokument nur von der Verformungstemperatur, nicht aber von einer Aktivierungstemperatur, die als jene Temperatur definiert werde, oberhalb der die Klebemasse klebrig werde (vgl Streitpatentschrift Beschreibung S 3 Z 23/24), gesprochen werde und daher auch an keiner Stelle erwähnt sei, daß das Klebematerial oberhalb einer solchen Aktivierungstemperatur mindestens haftklebrig und unterhalb dieser Temperatur nicht mehr klebrig sein solle. Wie aus der Streitpatentschrift zu ersehen ist, stimmen nämlich die dort für die Erweichungs- und Aktivierungstemperatur angegebenen Bereiche weitgehend überein (vgl Beschreibung S 3 Z 7 und Z 21/22). Dies bedeutet aber, daß die Massen dann, wenn sie erweichbar, dh verformbar sind, auch klebrig sind. Nichts anderes wird aber in der Entgegenhaltung (1) beschrieben, wenn ausgeführt wird, daß das dort angegebene Material in einem Temperaturbereich von 55 bis 70¡ C verformbar und bei diesen Verformungstemperaturen - wie im Zusammenhang mit der Anwendung von Schmelzklebern im übrigen üblich - auch selbstklebend ist (vgl Beschreibung S 5 Z 2 bis 4), während es unterhalb dieser Temperatur, nämlich dann, wenn die Temperatur sich der Kristallisationstemperatur der thermoplastischen Polymeren nähert, diese Eigenschaft nicht mehr aufweist (vgl auch Beschreibung S 10 Z 2 bis 10). Daher gibt es auch gemäß (1) eine Aktivierungstemperatur, oberhalb der die Klebemasse klebrig wird, auch wenn sie dort als solche so wortwörtlich nicht bezeichnet wird. Eine unterschiedliche Bezeichnung oder Nichtbezeichnung einer gleichwohl einem Erzeugnis innewohnenden Eigenschaft kann aber die Neuheit eines bereits bekannten Erzeugnisses nicht begründen.

Der einzige Patentanspruch 1 ist somit mangels Neuheit nicht gewährbar.

Schröder Harrer Proksch-Ledig Schuster Na






BPatG:
Beschluss v. 13.07.2004
Az: 14 W (pat) 62/03


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/fe510062a7ec/BPatG_Beschluss_vom_13-Juli-2004_Az_14-W-pat-62-03




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share