Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 1. Juli 2002
Aktenzeichen: AnwZ (B) 45/01
(BGH: Beschluss v. 01.07.2002, Az.: AnwZ (B) 45/01)
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluß des 2. Senats des Niedersächsischen Anwaltsgerichtshofs in Celle vom 19. Juli 2001 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen und dem Antragsteller die ihm im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 12.782,30 iàHHH DM) festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist seit April 1979 als Rechtsbeistand tätig und seit 1980 Mitglied der Antragsgegnerin.
Mit Schreiben vom 21. September 2000 hat der Antragsteller beantragt, ihm die Führung der Bezeichnung "Fachbeistand für Insolvenzrecht" zu gestatten. Durch Bescheid vom 6. Dezember 2000 hat die Antragsgegnerin den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, die einschlägigen Vorschriften der Bundesrechtsanwaltsordnung und der Fachanwaltsordnung ließen es nicht zu, daß Inhaber einer Erlaubnis zur geschäftsmäßigen Rechtsbesorgung, die zugleich Mitglied einer Rechtsanwaltskammer sind, auf besondere Kenntnisse im Insolvenzrecht durch einen entsprechenden Fachgebietszusatz hinweisen könnten.
Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller gerichtliche Entscheidung beantragt. Der Anwaltsgerichtshof hat die Rechtsauffassung vertreten, daß nach geltendem Recht einem Rechtsbeistand, der Mitglied einer Rechtsanwaltskammer ist, die Fachgebietsbezeichnung Insolvenzrecht nicht verschlossen sei. Er hat daher den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Antragsgegnerin verpflichtet, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Anwaltsgerichtshofs neu zu bescheiden. Dagegen richtet sich die zugelassene sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§ 223 Abs. 3 BRAO), bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg.
1. Nach § 209 Abs. 1 BRAO sind auf Personen, die im Besitz einer uneingeschränkt oder unter Ausnahme lediglich des Sozial- oder Sozialversicherungsrechts erteilten Erlaubnis zur geschäftsmäßigen Rechtsbesorgung sind und die auf ihren Antrag hin in die Rechtsanwaltskammer aufgenommen worden sind, (u.a.) die Vorschriften der Bundesrechtsanwaltsordnung über die Rechte und Pflichten des Rechtsanwalts und die berufliche Zusammenarbeit der Rechtsanwälte (§ 43 ff BRAO) sinngemäß anwendbar. Dabei kann der Erlaubnisinhaber nach § 209 Abs. 1 Satz 4 BRAO auf besondere Kenntnisse im Verwaltungsrecht, Steuerrecht, Arbeitsrecht oder Sozialrecht (§ 43 c Abs. 1 Satz 2 BRAO) durch den Zusatz "Fachgebiet" mit der Maßgabe hinweisen, daß der Zusatz höchstens zwei dieser Gebiete umfassen darf.
Nach § 59 b Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a BRAO kann die Berufsordnung im Rahmen der Vorschriften der Bundesrechtsanwaltsordnung die Rechtsgebiete bestimmen, in denen weitere Fachanwaltsbezeichnungen verliehen werden können. Nach § 1 Satz 2 FAO können weitere Fachanwaltsbezeichnungen für das Familienrecht, das Strafrecht und das Insolvenzrecht verliehen werden. Nach dem Beschluß der Satzungsversammlung sollte in der Fachanwaltsordnung als § 15 Abs. 2 die folgende Regelung aufgenommen werden: "Für Mitglieder im Sinne des § 209 Bundesrechtsanwaltsordnung gelten die §§ 1 bis 8, 10 bis 14 entsprechend mit der Maßgabe, daß das Recht zur Führung von Fachgebietsbezeichnungen erworben werden kann (§ 209 Abs. 1 Satz 4 BRAO)." Diese Vorschrift ist jedoch nie in Kraft getreten, da sie vom Bundesministerium der Justiz mit Bescheid vom 7. März 1997 aufgrund § 191 e BRAO aufgehoben wurde (abgedruckt in BRAK-Mitt. 1997, 81).
2. Die Auffassung des Anwaltsgerichtshofs, ein Rechtsbeistand, der eine umfassende Erlaubnis zur Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten im Sinne des § 209 Abs. 1 Satz 1 BRAO hat, und der zugleich Mitglied einer Rechtsanwaltskammer ist, habe bei Vorliegen entsprechender Kenntnisse und Erfahrungen Anspruch darauf, die Fachgebietsbezeichnung "Insolvenzrecht" führen zu dürfen, trifft zu.
a) Der Regelung des § 209 Abs. 1 Satz 1 BRAO liegt der Gedanke zugrunde, daß der von dieser Norm erfaßte Personenkreis (Rechtsbeistände alten Rechts; s. allgemein dazu Feuerich/Braun, BRAO, 5. Aufl., § 209 Rn. 1 ff), soweit ihm eine Vollerlaubnis oder eine Erlaubnis unter Ausnahme lediglich des Sozial- oder Sozialversicherungsrechts erteilt wurde, nach dem Umfang der ihm gestatteten Rechtsbesorgung dem Rechtsanwaltsberuf näher steht als dem des Rechtsbeistands nach neuem Recht (Senatsbeschluß vom 25. Januar 1999 -AnwZ (B) 53/98 - NJW 1999, 1116, 1117). Von daher ist es folgerichtig, daß nach § 209 Abs. 1 Satz 3 BRAO die für Rechtsanwälte geltenden Vorschriften der Bundesrechtsanwaltsordnung über die beruflichen Rechte und Pflichten sinngemäß auch auf diese Personen anzuwenden sind. Dies gilt, wie in § 209 Abs. 1 Satz 4 BRAO ausdrücklich bestimmt ist, auch und gerade hinsichtlich der Frage, ob ein Mitglied einer Rechtsanwaltskammer, das auf einem von ihm zulässigerweise betreuten Rechtsgebiet besondere Kenntnisse erworben hat, hierauf durch einen Zusatz (Fachanwalt, Fachgebiet) besonders hinweisen darf (vgl. BT-Drucks. 11/8307 S. 20 zu § 209 BRAO in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Berufsrechts der Notare und Rechtsanwälte vom 29. Januar 1991, BGBl. I S. 150). Dabei kommen nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes alle in der Bundesrechtsanwaltsordnung selbst normierten Fachanwaltsbezeichnungen -Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Steuerrecht, Arbeitsrecht und Sozialrecht (§ 43 c Abs. 1 Satz 2 BRAO in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte vom 2. September 1994, BGBl. I S. 2278; diese Bestimmung stimmt wörtlich überein mit § 42 a Abs. 2 BRAO in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 29. Januar 1991) -gleichermaßen auch als Fachgebietsbezeichnungen für Vollrechtsbeistände alten Rechts in Betracht.
Wenn in der geltenden Bundesrechtsanwaltsordnung darauf verzichtet wird, die Vergabe von Fachanwaltsbezeichnungen abschließend zu regeln, sondern es in die Kompetenz des Satzungsgebers gelegt worden ist, die Rechtsgebiete zu bestimmen, in denen weitere Fachanwaltsbezeichnungen vergeben werden können (§ 59 b Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a BRAO), so liegt dem die Überlegung zugrunde, daß die Rechtsanwaltschaft selbst, rascher als der Gesetzgeber, auf Veränderungen im wirtschaftlichen und rechtlichen Leben, die neue Spezialisierungshinweise erfordern, reagieren kann (BT-Drucks. 12/4993 S. 29, 35). Es versteht sich, daß diese gesetzgeberischen Überlegungen mit der Frage, ob die Person, die in dem weiteren Rechtsgebiet vertiefte Kenntnisse und Erfahrungen erworben hat und dies durch einen entsprechenden Zusatz werbewirksam kenntlich machen möchte, Rechtsanwalt oder Vollrechtsbeistand alten Rechts ist, nichts zu tun hat. Von daher fehlt jede innere Rechtfertigung dafür, Rechtsbeistände allein deshalb anders (schlechter) zu behandeln als Rechtsanwälte, weil für das in Rede stehende Rechtsgebiet nicht bereits ausdrücklich kraft Gesetzes, sondern nur auf dem Satzungswege eine Fachanwalts- oder Fachgebietsbezeichnung vorgesehen ist.
b) § 15 Abs. 2 FAO in der vom Bundesministerium der Justiz aufgehobenen Fassung sah vor, daß ein Vollrechtsbeistand entsprechend §§ 1 ff, 14 FAO das Recht zur Führung der Fachgebietsbezeichnung Insolvenzrecht erwerben kann. Der Aufhebungsbescheid des Justizministeriums wurde damit begründet, daß nach dem Wortlaut der Norm (fehlender Hinweis auf § 9 FAO) einem Vollrechtsbeistand in Widerspruch zu § 209 Abs. 1 Satz 4 in Verbindung mit § 43 c Abs. 1 Satz 2 BRAO der Zusatz "Fachgebiet Steuerrecht" verschlossen sei (BRAK-Mitt. 1997, 81). Daß demgegenüber gegen das im Einklang mit den Intentionen des Gesetzgebers stehende Anliegen des Satzungsgebers, den Anwendungsbereich der Fachanwaltsordnung auf Vollrechtsbeistände alten Rechts zu erstrecken, und zwar auch und gerade insoweit, als es um Rechtsgebiete geht, für die nur kraft Satzungsrechts eine Fachanwaltsbezeichnung verliehen werden kann, irgendwelche Bedenken des Ministeriums bestanden haben könnten, ist nicht ansatzweise erkennbar.
c) Vor diesem Hintergrund ist die von der Antragsgegnerin gezogene Schlußfolgerung, die Aufhebung des § 15 Abs. 2 FAO und das darauf zurückzuführende Fehlen einer ausdrücklichen "Rechtsbeistandsregelung" in der Fachanwaltsordnung führe dazu, daß es eine Fachgebietsbezeichnung Insolvenzrecht nicht gebe, verfehlt. Vielmehr ist nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen die durch das Eingreifen der Aufsichtsbehörde planwidrig entstandene Lücke in dem autonom gestalteten Regelungskonzept der Satzungsversammlung im Einklang mit der ratio legis des § 209 Abs. 1 Satz 4 BRAO und den Motiven des Satzungsgebers durch eine analoge Anwendung der §§ 1 ff FAO zu schließen. Jede andere Lösung wäre im übrigen, da sachliche Gründe, die eine unterschiedliche Behandlung von Rechtsanwälten und Vollrechtsbeiständen, die sich auf dem Gebiet des Insolvenzrechts spezialisiert haben, rechtfertigen könnten, nicht ersichtlich sind, schwerlich mit Art. 3, 12 Abs. 1 Satz 2 GG zu vereinbaren.
3. Die Ausführungen in der Beschwerdebegründung geben dem Senat Anlaß zu folgendem Hinweise: Auch dann, wenn dem Antragsteller die Erlaubnis zur Rechtsbesorgung unter Ausnahme des Sozial- oder Sozialversicherungsrechts erteilt worden sein sollte, wäre allein der Umstand, daß für das Fachgebiet Insolvenzrecht besondere Kenntnisse im materiellen Insolvenzrecht nachzuweisen sind, und zu diesem Rechtsgebiet unter anderem auch das Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz gehört (§ 14 Nr. 1 Buchst. i FAO), kein hinreichender Grund, ihm allein deswegen die Möglichkeit, das Recht zur Führung der Fachgebietsbezeichnung Insolvenzrecht zu erwerben, von vornherein zu versagen.
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BGH:
Beschluss v. 01.07.2002
Az: AnwZ (B) 45/01
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