Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen:
Beschluss vom 25. April 2006
Aktenzeichen: 7 E 410/06
(OVG Nordrhein-Westfalen: Beschluss v. 25.04.2006, Az.: 7 E 410/06)
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird geändert.
Unter Ànderung des Beschlusses des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts Minden vom 2. Januar 2006 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 6. Februar 2006 werden die von dem Beklagten an die Kläger zu erstattenden Kosten auf 1.009,12 Euro festgesetzt.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 261,87 Euro festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Die Kläger haben einen Anspruch darauf, dass die ihnen vom Beklagten zu erstattenden Kosten des erstinstanzlichen Klageverfahrens in Höhe des Betrages festgesetzt werden, den sie mit Antrag vom 24. November 2005, ergänzt und berichtigt mit Schriftsätzen vom 30. Dezember 2005 und 1. Februar 2006, geltend gemacht haben. Vom Beklagten ist insbesondere auch die (um 0,3 erhöhte) 1,3 Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG (im Folgenden: VV RVG) zu erstatten.
Mit Beschluss vom 3. November 2005 hat das Verwaltungsgericht dem Beklagten die Kosten des Verfahrens auferlegt. Zu den im Verfahren entstandenen Kosten gehören die Gebühren des Rechtsanwalts (vgl. § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO), jedoch nur insoweit, als sie im Verfahren entstanden sind. Gebühren eines Rechtsanwalts, die für seine vorgerichtliche Tätigkeit entstehen, sind als Teil der vom Urkundsbeamten festzusetzenden Kosten nur erstattungsfähig, wenn sie in einem Vorverfahren entstanden sind und das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt hat (vgl. § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO). Bereits aus dieser Systematik des § 162 VwGO ergibt sich, dass sich die Kostenfestsetzung nicht auf solche Gebühren erstreckt, die nicht Gegenstand der gerichtlichen Kostengrundentscheidung sind. Auf der anderen Seite ergibt sich aus der Kostengrundentscheidung, wer die von ihr erfassten Kosten zu tragen hat. Danach hat im vorliegenden Fall der Beklagte die im Gerichtsverfahren entstandenen Gebühren des klägerischen Anwalts zu tragen, nicht aber (anteilig) die Kläger. Aus dem Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte vom 5. Mai 2004, BGBl I 718, (RVG), ergibt sich nichts anderes. Das RVG regelt nicht, ob und in welchem Umfang Gebühren von der Kostengrundentscheidung des Verwaltungsgerichts umfasst sind. Ihm ist lediglich zu entnehmen, welche Gebühren der Rechtsanwalt gegenüber dem Auftraggeber, seinem Mandanten, geltend machen kann.
Demnach ist vom Beklagten die (hier erhöhte) 1,3 Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 VV RVG zu tragen, denn dies ist die im Teil 3 VV RVG geregelte Gebühr, die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren entsteht. Die Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2400 VV RVG hingegen entfällt nicht auf die gerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts. Sie ist in Teil 2 VV RVG geregelt, der die Gebühren für die außergerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts einschließlich der Vertretung im Verwaltungsverfahren behandelt.
Aus der Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV RVG ergibt sich nicht, dass abweichend von der dargelegten Systematik gegenüber dem Beklagten, der nach der Kostengrundentscheidung des Verwaltungsgerichts die den Klägern entstandenen Kosten des Verfahrens in voller Höhe zu tragen hat, nur eine anteilige Verfahrensgebühr festgesetzt werden dürfte. Zwar wird nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV RVG die Geschäftsgebühr (soweit diese wegen desselben Gegenstandes entstanden ist) zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet. Die Anrechnungsregelung hat den Sinn, das Gebührenaufkommen zu beschränken, das der Rechtsanwalt insgesamt geltend machen kann, und zwar im Verhältnis zwischen Rechtsanwalt und Auftraggeber. Sie bezweckt nicht, den Auftraggeber des Rechtsanwalts dadurch zu belasten, dass er die im gerichtlichen Verfahren entstehenden Gebühren nicht in vollem Umfang gegenüber der kostenpflichtigen Gegenseite abrechnen kann. Ein solches Verständnis der Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV RVG würde zu dem sinnwidrigen Ergebnis führen, dass die Gegenseite nur deshalb niedrigere Kosten zu erstatten hätte, weil der Rechtsanwalt bereits vorgerichtlich das Geschäft seines Mandanten betrieben hat.
Die vorstehende Auslegung der Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV RVG wird durch die Historie der Vorschrift bestätigt. Die Vorbemerkung 3 Abs. 4 ist an die Stelle des § 118 Abs. 2 Satz 1 BRAGO getreten, wonach die in § 118 Abs. 1 Nr. 1 bestimmte Geschäftsgebühr, die für eine Tätigkeit außerhalb eines gerichtlichen oder behördlichen Verfahrens entsteht, auf die entsprechenden Gebühren für ein anschließendes gerichtliches oder behördliches Verfahren anzurechnen war. Diese Vorschrift wurde in der Praxis nicht so angewandt, dass die für die gerichtliche Tätigkeit entstandenen Gebühren der §§ 31 ff. BRAGO um die Geschäftsgebühr gekürzt wurden, sondern es wurde die Geschäftsgebühr gekürzt.
Vgl. Hartmann/Albers, Kostengesetze, 29. Aufl., 2000, § 118 BRAGO Rdnr. 85.
Dennoch hat der Gesetzgeber am auslegungsbedürftigen Begriff der Anrechnung festgehalten. Der Sinn der Neuregelung liegt nach Ansicht des Bundesgerichtshofs darin, dass anders als nach § 118 Abs. 2 Satz 1 BRAGO, der die Anrechnung der vorprozessualen entstandenen Geschäftsgebühr auf die Gebühren des anschließenden gerichtlichen Verfahrens in vollem Umfang vorsah, nunmehr (nur) eine anteilige Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr vorgesehen ist.
Vgl. BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2005
- I ZR 21/05 -, BB 2006, 127.
Hinzutritt, dass die Anrechnungsregelung nunmehr auch die in einem behördlichen Verfahren entstandene Geschäftsgebühr erfasst.
Die Gesetzesmaterialien bestätigen ebenfalls die gewollte Begrenzung des insgesamt abrechenbaren Gebührenaufkommens, denn "der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit wird entscheidend dadurch beeinflusst, ob der Rechtsanwalt durch eine vorgerichtliche Tätigkeit bereits mit der Angelegenheit befasst war". "Die Anrechnung ist aber auch erforderlich, um eine außergerichtliche Einigung zu fördern. Es muss der Eindruck vermieden werden, der Rechtsanwalt habe ein gebührenrechtliches Interesse an einem gerichtlichen Verfahren."
Vgl. Gesetzentwurf, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts, BT-Drucks. 15/1971, S. 209.
Für die Annahme, die Beschränkung der insgesamt abrechnungsfähigen Gebührenhöhe habe zu Lasten des Auftraggebers und zugunsten des kostenpflichtigen Gebührenschuldners erfolgen sollen, ergibt sich auch aus diesen Erwägungen nichts.
Vgl. Gerold/Schmidt u. a., RVG, 16. Aufl., 2004, 2400-2403 VV Rdnr. 205; VG Köln, Beschluss vom 16. März 2006 - 18 K 6475/04.A -; a. A. VGH München, Beschluss vom 3. November 2005
- 10 C 05.1131 -, JurBüro 2006, 77.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 52 Abs. 3 GKG.
OVG Nordrhein-Westfalen:
Beschluss v. 25.04.2006
Az: 7 E 410/06
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