Bundespatentgericht:
Urteil vom 22. März 2007
Aktenzeichen: 2 Ni 13/05

(BPatG: Urteil v. 22.03.2007, Az.: 2 Ni 13/05)

Tenor

1. Das Patent 197 34 424 wird im Umfang des Patentanspruchs 1 teilweise für nichtig erklärt.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist Inhaberin des am 8. August 1997 angemeldeten Patents DE 197 34 424 C2 (Streitpatent), das die Priorität der deutschen Patentanmeldung 196 45 584.7 vom 5. November 1996 in Anspruch nimmt. Das Streitpatent betrifft eine SIM-Kartenkontaktiervorrichtung und umfasst die Patentansprüche 1 bis 28. Patentanspruch 1, hier mit der Merkmalsgliederung der Klägerin versehen, hat folgenden Wortlaut:

(a) SIM-Kartenleser mit einem Kontaktelemente (6) aufweisenden Kontaktträger (11),

(b) mit einem Deckel (12) zur Aufnahme einer zwei beabstandete Längsseitenkanten (5a, 5b) und zwei beabstandete Vorder- und Hinterkanten (2, 4) aufweisenden SIM-Karte (1),

(c) mit vorzugsweise zwei Lagervorrichtungen (13a, 13b) an Kontaktträger und Deckel zur Ermöglichung einer Schwenkbewegung zwischen Deckel und Kontaktträger,

(d) wobei jede der Lagervorrichtungen (13a, 13b) einen statischen Lagerteil (14, 140) am Kontaktträger (11) und einen drehbaren Lagerteil (15) am Deckel (12) aufweist, und

(e) wobei ferner beide Lagervorrichtungen (13a, 13b) innerhalb der Kartenbreite (B) der im SIM-Kartenleser eingesetzten SIM-Karte liegen.

Mit ihrer Nichtigkeitsklage wendet sich die Klägerin gegen den Patentanspruch 1 des Streitpatents. Sie behauptet mangelnde Patentfähigkeit, da der Gegenstand des Patentanspruchs 1 im Hinblick auf den einschlägigen Stand der Technik nicht sei und auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Sie beruft sich hierzu auf folgende Unterlagen:

N1 WO 91 / 15 101 A1 N2 DE 36 42 424 C2 N3 JP 3 236 753 B2 N4 teilweise deutsche Übersetzung der JP 3 236 753 B2 N5 Merkmalsanalyse Patentanspruch 1 N6 JP 08 - 241 754 A N7 Übersetzung der Figurenbeschreibung von N3 - JP 3 236 753 B2 Die Klägerin beantragt, das Patent 197 34 424 im Umfang des Patentanspruchs 1 für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie trägt den Ausführungen der Klägerin entgegen und hält den Gegenstand des Streitpatents für patentfähig.

Gründe

Die Klage, mit welcher der in § 22 Abs. 1 i. V. m. § 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG vorgesehene Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit (lediglich) bezüglich des Patentanspruchs 1 geltend gemacht wird, ist zulässig und im beantragten Umfang auch begründet.

I.

1. Das Streitpatent betrifft eine SIM-Karten-Kontaktiervorrichtung, auch als "SIM-Kartenleser" bezeichnet. SIM steht für "Subscriber Identity Module". SIM-Karten werden hauptsächlich in der Mobiltelefon-Technik eingesetzt, um einen Teilnehmer gegenüber dem drahtlosen Telefonnetz zu identifizieren; es handelt sich somit um eine spezielle Version der sogenannten "Chip-Karten" oder "IC-Karten".

Der beanspruchte Kartenleser besteht aus einem Basisteil ("Kontaktträger" 11) mit elektrischen Kontakten (6) für die SIM-Karte. Daran ist ein im geschlossenen Zustand flach aufliegender Deckel (12) vorgesehen, der an einer Seite drehbar gelagert ist und aufgeschwenkt werden kann (siehe Figur 1/2, Figur 5 des Streitpatents). Dieser Deckel hat einen Schacht, in welchen die SIM-Karte bei geöffnetem Deckel einschiebbar ist. Bei Schließen des Deckels wird die SIM-Karte über den Kontakten positioniert und angedrückt, so dass die elektronische Schaltung der SIM-Karte vom Kartenleser angesprochen werden kann.

Nach den Angaben in der Streitpatentschrift (DE 197 34 424 C2 Spalte 1 Zeile 19 bis 21) wird die patentgemäße Aufgabe sinngemäß darin gesehen, einen eine geringe Breite und Bauhöhe besitzenden SIM-Kartenleser vorzusehen.

Um dies zu erreichen, sollen gemäß Patentanspruch 1 die Drehlager für die Schwenkbewegung des Deckels "innerhalb der Kartenbreite (B) der im SIM-Kartenleser eingesetzten SIM-Karte liegen" (vgl. Merkmal (e) der o. a. Merkmalsgliederung).

Als Fachmann für eine solche Lagerkonstruktion eines SIM-Kartenleser-Deckels ist ein Fachhochschulingenieur der Feinwerktechnik oder Feinmechanik mit mehrjähriger Berufserfahrung anzusehen, der mit der elektromechanischen Konstruktion von kleinen elektrischen Baugruppen, insbesondere der Konstruktion eines Mobiltelefon-Gehäuses betraut ist.

2. Es kann dahinstehen, ob der beanspruchte SIM-Kartenleser neu ist. Er beruht angesichts des entgegengehaltenen Standes der Technik jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

Unstrittig zeigt die von der Patentinhaberin bereits in der Patentanmeldung benannte Druckschrift N1 (WO 91/15 101 A1) in ihrem dritten Ausführungsbeispiel (Figuren 11 bis 20) einen SIM-Kartenleser mit den Merkmalen (a) bis (d) des angegriffenen Patentanspruchs (SIM-Karte 1, Kontaktträger 63, Kontaktelemente 8, Deckel 64 mit Aufnahme 90, 91 für SIM-Karte entspr. Seite 10/Anspruch 19 bis 22, Lagervorrichtungen 68). Die dortigen Lagervorrichtungen sind aber seitlich neben der eingesetzten SIM-Karte angeordnet, so dass Merkmal (e) nicht verwirklicht ist, und vergrößern die Breite des Kartenlesers.

Wenn der Fachmann in Kenntnis von N1 durch konstruktive räumliche Vorgaben vor die Aufgabe gestellt wird, bei einem solchen SIM-Kartenleser die Breite zu verringern, dann muss er zunächst davon ausgehen, dass die Breite der SIM-Karte bestimmten Normen unterliegt und nicht veränderbar ist. Ferner wird eine schmale seitliche Führung am Deckel für die SIM-Karte erforderlich sein, so dass die Breite des Deckels geringfügig größer als die der SIM-Karte sein muss. Problemlos lässt sich Figur 11 der Druckschrift N1 nun entnehmen, dass die einzigen Elemente, die darüber hinaus die Breite des Kartenlesers bestimmen, die Lagervorrichtungen 68/680 sind. Um die Breite des Kartenlesers zu minimieren, drängt es sich daher förmlich auf, diese Lagervorrichtungen nicht seitlich der SIM-Karte anzubringen, sondern in den übrigen zwei Dimensionen, also entweder oberhalb bzw. unterhalb der Karte, oder in Längsrichtung "vor" bzw. "hinter" der Karte. Dies beides entspricht aber der Formulierung von Merkmal (e) "innerhalb der Kartenbreite".

Sonach gelangt der Fachmann schon allein ausgehend von N1 ohne erfinderische Tätigkeit zur Lehre des angegriffenen Patentanspruchs 1.

Im Übrigen zeigt die vorveröffentlichte Druckschrift N6 (vgl. die deutsche Übersetzung N7) einen Kartenleser für Speicherkarten mit den Merkmalen (a) bis (d), bei dem die Lagervorrichtungen (7 + 8) für den schwenkbaren Deckel (6) ganz offensichtlich innerhalb der Kartenbreite der im Kartenleser eingesetzten Karte (C) liegen, siehe N6 Figur 1/2. Selbst wenn der detaillierte Aufbau der Lagervorrichtung aus N6 möglicherweise für SIM-Karten nicht geeignet sein sollte - wie die Patentinhaberin vorträgt -, genügt N6 trotzdem für die Anregung, vom bekannten Aufbau (seitliche Anordnung) abzuweichen und die Lager in Längsrichtung innerhalb der Kartenbreite anzuordnen. Auch dies unterstreicht das Naheliegen eines SIM-Kartenlesers mit den Merkmalen des angegriffenen Patentanspruchs 1.

3. Die Patentinhaberin hat hiergegen vorgebracht, dem Gegenstand des Streitpatents liege die Aufgabe zugrunde, einen eine geringe Breite und geringe Bauhöhe besitzenden SIM-Kartenleser vorzuschlagen. Demgegenüber beträfe der Kartenleser nach N6 viel größere Speicherkarten und habe eine größere Bauhöhe, führe daher von der Erfindung weg und könne keine Anregung in Richtung des Patentanspruchs 1 geben. Auch gemäß N1 würde die Bauhöhe nicht reduziert werden, wenn der Fachmann die dort gezeichneten Lagervorrichtungen 68/680 einfach innerhalb der Kartenbreite, also oberhalb der Kartenauflagefläche positionieren würde.

Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden. Welches technische Problem durch eine Erfindung gelöst wird, ist objektiv danach zu bestimmen, was die Erfindung tatsächlich leistet; die in der Patentschrift angegebene Aufgabe ist demgegenüber als solche nicht maßgeblich (BGH BlPMZ 2005, 77 "Anbieten interaktiver Hilfe" II. 4b m. w. N.). Vorliegend kann die objektive Aufgabe deshalb nur darin bestehen, einen SIM-Kartenleser mit geringerer Breite zu konstruieren; denn die Merkmale des Patentanspruchs 1 umfassen keine einzige Maßnahme, welche die Bauhöhe verringern würde.

Auch die schriftlich vorgetragenen Argumente hinsichtlich einer "Kombination eines tiefliegenden Drehpunkts des Deckels mit einer Steuerkurve zur Führung der Karte", welche "eine sehr flache Bauausführung des Lesers" zur Folge haben soll, betreffen ausschließlich Maßnahmen, die keinen Niederschlag in der Formulierung des Patentanspruchs 1 gefunden haben. Sie können daher zu keiner anderen Beurteilung führen.

Der Patentanspruch 1 kann sonach keinen Bestand haben.

II.

Als Unterlegene hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 99 Abs. 1 PatG, 709 ZPO.






BPatG:
Urteil v. 22.03.2007
Az: 2 Ni 13/05


Link zum Urteil:
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